Der 27ten Januar 1905 in Otjosazu

Kategorien

Signatur

StuUB Bildnr. 082-2990-303

Urheber

Koloniales Bildarchiv

Datierung

1904–1905

Maße

H 6 CM, B 9 cm

Material

Digitalisat des erhaltenen Papierabzugs

Objekt-Schaufenster

Drucken
per E-Mail senden

Der 27ten Januar 1905 in Otjosazu

© Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg

Wenn ein Foto nur sprechen könnte…

von Florian Helfer

In guter Gesellschaft wird geraucht, getrunken und gemeinsam Zeit verbracht. So erhebt in diesem Bild sein Urheber das Glas in Richtung Objektiv und lässt ein angenehmes Lächeln erahnen. Leere Weinflaschen zieren den unteren Bildrand.

Betrachtet man das Foto genauer, sieht man an der Wand eines Hauses zwei schwarze Frauen und zwei weiße Männer, auf einer Holzbank in der Sonne sitzend. Der Mann in der Mitte hat einen Arm um die Schulter der einen Frau gelegt, die allem Anschein nach schwanger ist. Rechts und links im Hintergrund stehen zwei Schwarze, welche offenbar nicht zur trinkenden Gesellschaft gehören und namenlos bleiben. Rechts, ein kleiner Junge, der dem uniformiert wirkenden Schwarzen Mann links gerade Mal bis zur Hüfte reicht. Durch sein zu großes Hemd und seine Arme, die fast bis zum Boden reichen, wirkt der Junge kleiner als er in der Realität sein muss.

Über den spärlichen Text auf der Rückseite des Fotos erfahren wir einige Informationen über den Entstehungskontext; „Der 27ten Januar 1905 in Otjosazu. Von Links aus gesehen: Sgt. Siek mit seiner Frau Victoria, Feldwebel Peters, Ludwig, Unteroffizier Tom, Anton, Unteroffz Bantz“. Außerdem ist auf der Fotohülle vermerkt, dass das Foto auf der „2. Etappe“ der Reise des deutschen Fotografen Jean Bantz entstand, der auf der rechten Bank sitzt. Unteroffizier Bantz ist als Fotograph der insgesamt 450 Bilder, die Teil des Kolonialen Bildarchivs an der Universitätsbibliothek Frankfurt befinden, angegeben. Er schaut wie die meisten Personen auf dem Bild direkt in die Kamera und hat ein Glas angehoben, als würde er einen Trinkspruch ausbringen wollen.

Es stellt sich die Frage, inwieweit ein solches Bild einen eigenen Informationswert bezüglich der Beantwortung historischer Fragen hat. Kann ein Bild alleine, d.h. mit kaum kontextualisierenden Schriftquellen, Zeugnis für eine historische Erkenntnis ablegen? Anhand unseres Fotos können wir feststellen, dass Jean Bantz zusammen mit Siek, dessen Frau Victoria und anderen Personen zu der angegebenen Zeit an dem angegebenen Ort zugegen war. Selbst diese elementare Erkenntnis wäre nicht möglich, ohne kontextualisierende Schriftquellen heranzuziehen. Glücklicherweise existiert jedoch eine serielle Aufnahme dieser Szene, die aus sechs Bildern besteht und im Kolonialen Bildarchiv als Papierabzug und digitaler Form aufbewahrt ist. Aus dem Vergleich der Serienbilder fällt zunächst die Perzeption der Schwarzen Personen im Vergleich zu den Weißen auf. Während die Weißen von Aufnahme zu Aufnahme ihre Positionen wechseln, sich anders präsentieren und ausgelassen in die Kamera schauen, verändern die Schwarzen ihre Positionen kaum und zeigen auf jeder Aufnahme die gleiche, neutrale Mimik. Über diese Beobachtung können keine Aussagen über die Beziehung der Personen miteinander getroffen werden. Wir können dennoch festhalten, dass sich durch die Bildserie eine für Fotoaufnahmen angespannte möglicherweise gehorsame Haltung der Schwarzen Personen beobachten lässt und dass wir trotz des gemeinsamen Schmausens eine Ungleichheit in der Tischgesellschaft ausmachen können. jedoch kann dies auch als einfache Unsicherheit, Distanzierung, oder auch Stolz gedeutet werden. Was bleibt ist, dass das ausgewählte Motiv in diesem Fall Beobachtungen über das soziale Verhalten der Personen zulässt sowie über die Beziehungen zwischen Kolonialherren und Kolonialisierten. So dokumentiert die Fotografie, dass zu dieser Zeit Eheschließungen und Familiengründungen nicht nur erlaubt waren, sondern auch praktiziert wurden Die dem Anschein nach schwangere Victoria schaut exakt gleich in die Kamera, wird auf jedem Foto mehr oder weniger von Weißen angefasst und verändert ihre Haltung nicht. So liegt auch der Arm von Sgt. Siek in jeder Aufnahme besitzergreifend über Victorias Schultern. Wir können nur vermuten, ob es ihr befohlen wurde, sich nicht zu bewegen oder ob es zu ihrem Selbstverständnis gehört, sich nicht zu exponieren. Auffällig ist vor allem, dass keine schwarze Person ein Glas in der Hand hat und offensichtlich nicht in die trinkende Gesellschaft integriert ist bzw. sich nicht integrieren lassen will.

Visuelle Quellen alleine vermögen kaum Fragen über die exakte Datierung, Namen und Absichten der Porträtierten sowie die historisch-kausalen Zusammenhänge zu beantworten; Fragen, die die Geschichtswissenschaft eher anhand von Schriftquellen angeht und zu belegen versucht. Bildquellen sind jedoch auch nicht auf eine dienende Rolle bzw. einer Hilfswissenschaft zu reduzieren, die historische Erkenntnisse lediglich ergänzt. Ihr Wert liegt vielmehr darin, dass wir an Bilder andere Fragen stellen als an schriftlichen Quellen und sie uns darüber hinaus zu neuen Erkenntnissen führen. Wie die analysierte Serie zeigt, ermöglichen sie es, kulturelle und politische Praxen zu beobachten, die niemals schriftlich dokumentiert wurden. Denn Schriftquellen stellen die Kolonialzeit stets aus der Perspektive der Herrscher und nicht der Unterdrückten dar. Diese, die in schriftlicher Form keine Stimme hatten, werden durch die Bilder zunächst sichtbar gemacht. Natürlich gilt weiterhin, dass sich selbst die Fotographie von den Machtverhältnissen des Entstehungskontextes nicht trennen kann. Dennoch… Auch wenn der „schwarze“ Blick uns keine Geschichte erzählt, er ist tradiert worden und befragt uns!

Florian Helfer war im WS 2015/16 Student der Kulturanthropologie an der Goethe Universität. Der Text entstand im Rahmen der Übung „Schriftlose Vergangenheiten“, Dozentin: Dr. Lisa Regazzoni.

Literatur

Ulrich Hägele, Irene Ziehe: Fotografien vom Alltag - Fotografieren als Alltag. Tagung der Kommission Fotografie der Deutschen Gesellschaft für Volkskunde und der Sektion Geschichte und Archive der Deutschen Gesellschaft für Photographie im Museum Europäischer Kulturen - Staatliche Museen zu Berlin vom 15. bis 17. November 2002. 2004, Münster (Visuelle Kultur, 1).

Wolfram Hartmann, Jeremy Silvester, Patricia Hayes: The colonising camera. Photographs in the making of Namibian history. Cape Town, South Africa, Athens, University of Cape Town Press/Ohio University Press 1999.

Jens Jaeger: “Heimat” in Afrika. Oder die mediale aneignung der Kolonien um 1900, in: zeitenblicke 7, Nr. 2, URL: http://www.zeitenblicke.de/2008/2/jaeger/index_html, URL: urn:nbn:de:0009-9-15447

Henning Melber, Janntje Böhlke-Itzen: Genozid und Gedenken. Namibisch-deutsche Geschichte und Gegenwart, 1. Aufl., Frankfurt am Main 2005.

Wulf Otte: Weiß und Schwarz - Black and White. Photos aus Deutsch-Südwestafrika - from Namibia 1896 - 1901, Wendeburg 2007.

Zurück zum Anfang der Seite

IMPRESSUM


Haben Sie Anregungen, Fragen oder Ergänzungen?

Wir freuen uns über Ihre Email an: sammlungen[at]uni-frankfurt.de

Konzept, Entwicklung und Herausgabe der Plattform

Dr. Judith Blume (heute: Koordinatorin der Sammlungen an der Goethe-Universität)
Dr. Vera Hierholzer (bis 2018; heute: Direktorin des Museums für Industriekultur in Osnabrück)
Dr. Lisa Regazzoni (bis 2020; heute: Professur für Theorie der Geschichte an der Universität Bielefeld)

Betreuung der Plattform

Dr. Judith Blume
Koordinatorin der Sammlungen an der Goethe-Universität
Universitätsbibliothek J.C. Senckenberg
Bockenheimer Landstraße 134-138
60325 Frankfurt/Main
Tel: 0049-(0)69-798-39197
J.Blume [at] ub.uni-frankfurt.de

Programmierung

Sven Winnefeld
www.winkin-verlag.de

Design

FGS Kommunikation – Steffen Grzybek, Martin Schulz GbR
www.fgs-kommunikation.de

Developed By

Jatinkumar Nakrani
linkedin
Github

Entstehungskontext

Die Plattform wurde von der Studiengruppe "sammeln, ordnen, darstellen" am Forschungszentrum für Historische Geisteswissenschaften entwickelt und im Rahmen der Jubiläumsfeierlichkeiten der Goethe-Universität im Jahr 2014 eröffnet. Ihr Aufbau war eng mit der Ausstellung „Ich sehe wunderbare Dinge. 100 Jahre Sammlungen der Goethe-Universität“ verknüpft, die von Oktober 2014 bis Februar 2015 im Museum Giersch der Goethe-Universität zu sehen war. Viele der Objekterzählungen waren auch in der Ausstellung zu lesen und sind im Katalog abgedruckt worden; viele Ausstellungstexte haben wiederum den Weg in die Plattform gefunden. Ebenso wurden die auf der Plattform gezeigten Filme sowie viele der Fotografien eigens für die Ausstellung produziert.

Leitung der Studiengruppe "sammeln, ordnen, darstellen"

Dr. Judith Blume
Dr. Vera Hierholzer (bis 2018)
Dr. Lisa Regazzoni (bis 2020)

Team der Jubiläumsausstellung

Dr. Charlotte Trümpler (Projektleitung und Kuratorin; Autorenkürzel: CT)
Dr. Judith Blume (Kuratorin, Autorenkürzel: JB)
Dr. Vera Hierholzer (Kuratorin, Autorenkürzel: VH)
Dr. Lisa Regazzoni (wissenschaftliche Mitarbeit, Autorenkürzel: LR)

Fotografien

Die Fotografien wurden von den einzelnen Sammlungen oder Autoren zur Verfügung gestellt sowie von Tom Stern (Sammlungsräume und Objekte), Uwe Dettmar (Objekte) und Jürgen Lechner (Objekte) angefertigt. Die Nachweise finden Sie bei den entsprechenden Abbildungen. Sollte trotz sorgfältiger Recherche ein Rechteinhaber oder Fotograf nicht genannt sein, bitten wir um einen entsprechenden Hinweis.

Filmproduktion

Sophie Edschmidt (Regie und Schnitt)
Philipp Kehm (Kamera)
Philipp Gebbe (Musik)
Dr. Charlotte Trümpler (Idee und Beratung)


Finanzierung


Haftungsausschluss/Disclaimer

Die Studiengruppe "sammeln, ordnen, darstellen" des Forschungszentrums für Historische Geisteswissenschaften der Goethe-Universität Frankfurt übernimmt keinerlei Verantwortung für die Inhalte von Webseiten, welche durch die auf unseren Seiten angeführten Links erreichbar sind. Die auf solchen Webseiten wiedergegebenen Meinungen und/oder Tatsachenbehauptungen liegen in der alleinigen Verantwortung der/des jeweiligen Autorin/Autors. Da wir auf Änderungen durch Autoren externer Webseiten keinerlei Einfluss haben, weisen wir ferner ausdrücklich darauf hin, dass wir uns Texte oder Aussagen Dritter, welche durch Links auf externen Webseiten zugänglich sind, in keiner Weise zu eigen machen.