von Anja Fröhlich
In gleich drei Versionen findet man den japanischen Manga „Card Captor Sakura“ von dem Zeichner-Team CLAMP im Comic-Archiv. Die Erstausgabe von Feest Manga aus dem Jahr 2000, die Neuauflage von Egmont Manga & Anime von 2009 und das Manga, das der Geschichte der Zeichentrickserie folgt, aus dem Jahr 2003 in Farbe. Obwohl alle drei Ausgaben als Belegexemplar-Lieferungen, also direkt nach dem Druck in das Archiv wanderten und nicht als Gebrauchsexemplare gedacht waren, hat die älteste Ausgabe, aber nur diese, leichte Gebrauchsspuren, der Rücken ist gebrochen und die Seiten sind leicht abgegriffen. Man sieht, dass dieser Band durch einige Hände wanderte und gelesen wurde.
Mit der immer weiteren Verbreitung der Manga, dem japanischen Pendant des westlichen Comics, seit den späten 90er Jahren rückten diese nach und nach in das Blickfeld der Lehrenden und Lernenden an den Universitäten, auch an der Goethe-Universität. Gerade „Card Captor Sakura“, das als eines der ersten Manga ein breiteres und vor allem jüngeres Publikum ansprach, als die schon in den 1980er und 90er Jahren veröffentlichten Werke „Barfuß durch Hiroshima“ oder „Akira“, machten Manga als Forschungsgegenstand für die Kinder- und Jugendliteratur interessant. Die Gebrauchsspuren des ersten Bandes aus dem Jahr 2000 erzählen von der Benutzung der Studenten und Dozenten, die es in Lehrveranstaltungen als Quelle zum Thema Bildgeschichten und Comics verwendeten. Wie schnell jedoch das Interesse auch wieder sinken kann, zeigen die Neuauflage und das Manga zur TV-Serie. Sie sehen brandneu aus, ohne jegliche Gebrauchsspuren und wurden offensichtlich weder in Lehre noch in Forschung benutzt. Mit dem immer größeren Angebot und der wachsenden Nachfrage ist das Manga längst nicht mehr so außergewöhnlich wie noch zu Beginn des neuen Jahrtausends. Das Exotische ist alltäglich geworden.
Doch gerade nebeneinander gestellt zeigen alle drei Ausgaben die Entwicklung des deutschen Manga-Marktes. Die Erstausgabe ist noch gespiegelt, um das japanische Manga an die deutschen Lesegewohnheiten anzupassen. Man findet hin und wieder eine Fußnote, die erklärt, was gerade in einer Sprechblase gesagt wurde, sei es, dass das japanische Schuljahr im Frühjahr beginnt oder die japanischen Suffixe, die den Status einer angesprochenen Person erkennen lassen. All dies fehlt in der Neuauflage. Der deutsche Manga-Liebhaber liest sie in originaler Leserichtung „von hinten nach vorne“ und bedarf auch keiner Aufklärung mehr über kulturelle Besonderheiten. Ganz unabhängig vom wissenschaftlichen Kontext hat sich nicht nur ein Fan-, sondern vor allem auch ein Expertentum entwickelt. So ist es auch eine Selbstverständlichkeit, dass Manga traditionell nur schwarz und weiß sind, nicht bunt wie ihre amerikanischen Verwandten. Möchte man „Card Captor Sakura“ in Farbe lesen, muss man zu dem Manga greifen, das der Handlung der gleichnamigen TV-Serie folgt und die exakten Szenen der Serie zeigt. Gerade dieses Nebeneinander der unterschiedlichen Ausgaben ermöglicht einen Einblick in die Lese- und Fankultur der Manga und macht es möglich sie mit anderen Entwicklungen der Comickultur zu vergleichen.
Anja Fröhlich ist Studentin der Geschichte. Dieser Text entstand im Rahmen der Lehrveranstaltung der Studiengruppe „sammeln, ordnen, darstellen“ im Wintersemester 2012/13.
Alfred Clemens Baumgärtner: Die Welt der Comics. Probleme einer primitiven Literaturform, Bochum 1965
Bernd Dolle-Weinkauff: Comics – Geschichte einer populären Literaturform in Deutschland seit 1945, Weinheim und Basel 1990.
Bernd Dolle-Weinkauff: Vom Kuriositätenkabinett zur wissenschaftlichen Sammlung. Das Comic-Archiv des Instituts für Jugendbuchforschung der Goethe-Universität Frankfurt/Main, in: Imprimatur. Neue Folge XIX. (2005), hg. von Ute Schneider im Auftrag der Gesellschaft der Bibliophilen, S. 209–224.
Andreas C. Knigge: Fortsetzung folgt. Comic-Kultur in Deutschland. Frankfurt am Main, Berlin 1986.
Günter Metken: Comics, Frankfurt am Main 1970.
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