von Lea Bligenthal
Matzenmehl, Eier, Fett, Wasser und Salz vermischen; anschließend in den Händen einen runden Kloß formen und als Einlage in einer Brühe ziehen lassen – fertig ist die Matzeknödelsuppe. Matzeknödel (jiddisch קניידלעך, Knaidlech) sind eine beliebte Suppeneinlage, die während Pessach serviert wird. Mamas Suppenknödel prägt Kindheitserinnerungen und ist fester Bestandteil der jüdischen Küche.
Die Hebraica- und Judaica-Sammlung der Universitätsbibliothek umfasst zahlreiche jüdische Kochbücher, darunter auch Rebekka Wolfs „Kochbuch für israelitische Frauen – enthaltend die verschiedensten Koch- und Backarten; mit einer vollständigen Speisekarte und einer Hausapotheke sowie einer genauen Anweisung zur Einrichtung und Führung einer religiös-jüdischen Haushaltung“ von 1865. Es ist das älteste Kochbuch der Sammlung, die seit Mitte des 19. Jahrhundert durch Schenkungen Frankfurter Jüdinnen und Juden entstand. Erstmals erschien die Rezepte-Sammlung 1851 und wurde mehrfach neu aufgelegt und erweitert. Bis 1933 erschienen 14 Auflagen.
Kochbücher sind Spiegel von kulturellen, religiösen und gesellschaftlichen Gegebenheiten. Nicht zuletzt die zunehmende Säkularisierung und Hinwendung zum Bürgertum führte dazu, dass das Kochbuch immer mehr zum Handbuch für die Führung eines bürgerlichen Hauses wurde. So zeigt auch Rebekka Wolfs Kochbuch mit einer „genauen Anweisung zur Einrichtung und Führung einer religiös-jüdischen Haushaltung“ den Wandel in der Frauenrolle. Damit reiht sich das Werk in die Hauswirtschaftsbewegung des frühen 20. Jahrhunderts ein. Begleitet wurde dieser Wandel durch jüdische Frauenvereinigungen, welche hauswirtschaftliche Kurse anboten, um junge Frauen in der Haushaltsführung auszubilden und die „Küche zum Tempel der Frau“ (Lea Fleischmann) werden ließen.
Jede Speisekultur, welche kulturelle Prägung sie auch durchlaufen hat, kennt die Unterscheidung in Alltagsessen und Festessen. Diese Aufteilung lässt sich auch bei Rebekka Wolf wiederfinden. Das Kochbuch umfasst neben koscheren Rezepten für jeden Tag auch eine Speisekarte für das ganze Jahr, mit der der jüdischen Hausfrau unter anderem eine Menüanleitung für das Pessachfest bzw. die „Osterfeiertage“ zur Hand gegeben wird. In Kapitel 18 ist unter dem Titel „Speisen und Getränke, die am Osterfest theils gebräuchlich, theils anwendbar sind“ eine detaillierte Anleitung für die Zubereitung von „Suppenklöße(n)“ zu finden. Diese Klöße bzw. Knödel werden aus zerkleinerten Matzen hergestellt und heißen daher auch „Matzeknödel“. Aber was sind Matze?
Matze ist ein ungesäuertes Brot für die Pessachzeit, welches für die Klöße zu Matzenmehl zermahlen wird und so in vielen Speisen das Getreidemehl ersetzt. Um gemäß den jüdischen Speisegesetzen koscher zu sein, wird es wie alle jüdischen Speisen nach rituellen Vorschriften „Kaschrut“ hergestellt. Der Verzehr von Matze steht im Mittelpunkt der biblischen Vorschrift, während Pessach nichts Gesäuertes zu sich zu nehmen und steht symbolisch für das Nachempfinden eines historischen Geschehens – dem Auszug der Israeliten aus Ägypten. Den Matzeknödeln kommt dabei eine besondere Rolle zu oder wie Daniel Donskoy, der Gastgeber der Freitagnacht Jews im WDR, es ausdrückt: „Sie wollten uns umbringen, sie haben es nicht geschafft, lasst uns essen.“
Es gibt große und kleine Klöße, mit Muskat, mit Pfeffer, mit Ingwer, mit oder ohne Eischnee. Jede Regionalküche setzt ihre eigenen Akzente und jüdische Speisetraditionen adaptieren die jeweiligen kulinarischen Gepflogenheiten der Region. So wird heute etwa in Mexico die Matzeknödelsuppe mit Zwiebeln, Avocado und Koriandergrün variiert (Leah König, Das jüdische Kochbuch). Entscheidend neben den geografischen Einflüssen auf die Rezeptsammlung ist ebenfalls die jeweilige Zeit, zu der die Speisen zubereitet wurden. So führte insbesondere die Lebensmittelknappheit während des ersten Weltkrieges zu Hausfrauenratschlägen wie mit der Not jüdische Speisegesetze eingehalten werden können (Carl von Norden, Kriegskochbuch für die rituelle Küche). Auch wenn es sie also in vielen Variationen gibt, die Matzeknödelsuppe verbindet die Gemeinschaft der Speisenden über die Grenzen und Zeiten hinweg.
Die größte Besonderheit der jüdischen Küche ist, im Gegensatz zu fast allen anderen Küchen der Welt – dass sie nicht geografisch definiert ist. Vielmehr folgen die Rezepte den Speisevorschriften und adaptieren regionale Zutaten und Geschmäcker. Die Matzeknödelsuppe ist das, was zusammenhält – die Zutaten wie die Gemeinschaft, wo immer auf der Welt das Pessaachfest gefeiert wird. Essen kann Vergangenes vergegenwärtigen, Traditionen bewahren und mit der Moderne verbinden.
Zugang zum vollständig digitalisiertem Buch erfolgt unter diesem Link.Dieser Beitrag von Lea Bligenthal entstand im Rahmen des Projektseminars ’17 Motive jüdischen Lebens‘ an der Goethe-Universität Frankfurt am Main im Sommersemester 2021.
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