von Anja Fröhlich
Öffnet sich die Tür des Jugendkulturarchivs im Kunstpädagogischen Instituts der Goethe-Universität, so tritt man in eine kleine Schatzkammer reich an Vergessenem, Kuriosem und Unbekanntem. Wie ein Archäologe heißt es, Objekte neu- und wiederzuentdecken. Der knapp zehn Quadratmeter große Raum ist vollgestellt mit Regalen, gefüllt mit Kleidungsstücken, Schuhen und Accessoires; Kartons stapeln sich auf dem Boden. Und dann: eingeklemmt zwischen einem Skatebord und kleinen braunen Kisten sticht mir ein weißer Karton ins Auge. Meine Neugier ist geweckt. Ich hole ihn hervor und bin überrascht: Aus dem Karton blickt mir eine Kollegin direkt ins Gesicht – eine Archäologin, wie ich es gerade bin.
Lara Croft: Archäologin, Action-Heldin und Protagonistin der Spiele-Reihe Tomb Raider, die seit 1996 in 14 Computerspielen und zwei Hollywoodfilmen auf der ganzen Welt nach mystischen und antiken Artefakten sucht. Die Kiste dient als Verpackung für eine Plastikstatue. Diese trägt den charakteristischen geflochtenen Zopf, ein grünes, eng anliegendes Tanktop, braune Hotpants und an ihren Oberschenkeln Halterungen für ihre zwei Neun-Millimeter-Pistolen. Doch irgendetwas irritiert: Ihre Gesichtszüge sind nicht rund, sondern kantig.
Wieso die Wangenknochen fast surreal spitz hervorstechen wird klar, wenn man versucht, die Figur in ihre über 17-jährige Geschichte einzuordnen. Sie stammt wohl aus dem Jahr 2002, denn der stolze Preis von 54 Deutsche Mark ist auch in Euro vermerkt. In dieser Zeit wurden Computerspiele noch mit sehr groben Gittermodellen modelliert. Deshalb waren die Polygone, aus denen sie sich zusammensetzten, sichtbar: umso enger, also umso näher die Ecken beieinander lagen und umso kürzer die sie verbindenden Kanten, desto sanfter und runder fielen die modellierten Strukturen aus – oder eben nicht, wie in der frühen Phase der Videospiele. Rundungen blieben deshalb kantig. Die Lara-Croft-Figur versuchte dieser Ästhetik der frühen Spiele offenbar so nahe wie möglich zu kommen.
Auch die bisher neun offiziellen Doubles von Lara Croft, die auf Veranstaltungen des Spieleentwicklers Werbung machten, mussten der Videospiel-Heldin zum Verwechseln ähnlich sehen, sonst drohten Schmähungen der Fans auf der ganzen Welt. Der verpixelten Archäologin mit dem physisch nahezu unmöglichen Körperbau zu ähneln, war jedoch gar nicht so leicht. Einfacher wurde dies erst, als es technisch möglich wurde, immer mehr Polygone zur Formung von Lara Croft zu verwenden. Sie wurde glatter und näherte sich so immer mehr dem Erscheinungsbild eines natürlichen Körpers.
Doch nicht nur die Grafik änderte sich, sondern auch die Körperproportionen, wie beispielsweise die Oberweite. Um nicht in der Versenkung zu verschwinden, wie es bei vielen anderen Spielen geschah, musste Lara immer wieder angepasst werden, um den sich ständig wandelnden jugendlichen Zielgruppen und veränderten jungen Trends zu entsprechen. Denn Jugendkultur ist immer nomadisch, und die nun auch immer öfter Videospiele konsumierenden jungen Frauen konnten und wollten sich nicht mit einer übersexualisierten, auf Männer ausgelegten Protagonistin identifizieren. So emanzipierten sich nicht nur die jungen Frauen, sondern mit ihnen auch Lara Croft. War 1996 schon eine weibliche Hauptperson, die auch noch stark und unabhängig ist, eine kleine Sensation, entwickelte sich Lara mit der Zeit von einer charakterlich eindimensionalen Männerfantasie zu einem Charakter, der mehr vorzuweisen hat als seine Oberweite und zwei Neun-Millimeter-Pistolen.
Die bisher letzte Station der Lara Croft zeigt dies nur zu gut: In der Neuauflage der Serie aus dem Jahr 2013 steht durch das Verfahren des Motion Capture, bei dem menschliche Bewegungen auf ein computergeneriertes 3D-Modell übertragen werden, eine echte Schauspielerin hinter der animierten Figur. Mussten sich die Doubles früher der animierten Lara Croft anpassen, muss diese nun einer echten Frau ähneln. So bietet die kantige Plastikfigur ein interessantes Beispiel dafür, wie in dem noch sehr jungen Medium des Videospiels die Entwicklung des Frauenbildes und die Möglichkeiten der darstellenden Technik sich gegenseitig beeinflussten.
Ich verpacke Lara wieder behutsam in ihren Karton. Dort kann sie gut geschützt darauf warten, dass schon bald der oder die nächste mutige Entdecker/-in sie ausgräbt.
Anja Fröhlich war 2014 Studentin der Geschichte. Der Text entstand im Rahmen der Jubiläumsausstellung „Ich sehe wunderbare Dinge. 100 Jahre Sammlungen der Goethe Universität“ und wurde im Katalog veröffentlicht. Dieses Objekt war in der Jubiläumsausstellung "Ich sehe wunderbare Dinge. 100 Jahre Sammlungen der Goethe-Universität" 2014/2015 zu sehen. Der erläuternde Text wurde für die Ausstellung bzw. den begleitend erschienenden Katalog verfasst.
Marvin Chlada, Wolfgang Haible (Hg.): Lara Croft. Ein Mythos wird dekonstruiert, Duisburg 2002.
Astrid Deuber-Mankowsky: Lara Croft. Modell, Medium, Cyberheldin, Frankfurt a. M. 2001.
Birgit Richard: Sheroes. Genderspiele im virtuellen Raum, Bielefeld 2004.
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Dr. Judith Blume (heute: Koordinatorin der Sammlungen an der Goethe-Universität)
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Die Plattform wurde von der Studiengruppe "sammeln, ordnen, darstellen" am Forschungszentrum für Historische Geisteswissenschaften entwickelt und im Rahmen der Jubiläumsfeierlichkeiten der Goethe-Universität im Jahr 2014 eröffnet. Ihr Aufbau war eng mit der Ausstellung „Ich sehe wunderbare Dinge. 100 Jahre Sammlungen der Goethe-Universität“ verknüpft, die von Oktober 2014 bis Februar 2015 im Museum Giersch der Goethe-Universität zu sehen war. Viele der Objekterzählungen waren auch in der Ausstellung zu lesen und sind im Katalog abgedruckt worden; viele Ausstellungstexte haben wiederum den Weg in die Plattform gefunden. Ebenso wurden die auf der Plattform gezeigten Filme sowie viele der Fotografien eigens für die Ausstellung produziert.
Dr. Judith Blume
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Sophie Edschmidt (Regie und Schnitt)
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