von Anja Fröhlich
Eingeschlagen in weißes Verpackungspapier, gut geschützt in einer Kiste ruht er friedlich. Schlägt man das Papier zur Seite bietet sich dem Betrachter etwas Bizarres: Ein kleiner, mit schwarzem Stoff bezogener Sarg, auf dem ein weißer Schädel mit zwei gekreuzten Knochen prangt. An der Rückseite sind zwei Schlaufen aus Ketten befestigt. Der Sarg lässt sich mit einem Reißverschluss öffnen, die Innenseite ist mit rotem Satin-Stoff bezogen. Wer benötigt einen so kleinen Sarg? Wozu dienen die beiden Schlaufen an der Rückseite? Und warum lässt sich der Sarg durch einen Reißverschluss öffnen?
Dieses morbide Objekt ist ein besonderes Stück Kultur: Jugendkultur. Der Sarg ist eigentlich ein Rucksack und stammt aus dem Bereich der Gothic-Szene. Gothic hat weder etwas mit den Goten noch mit der Gotik zu tun, sondern ist eine Subkultur mit besonderer ästhetischer Orientierung: Die Faszination für Tod und Vergänglichkeit steht im Mittelpunkt und daraus abgeleitet spielen die Farbe Schwarz, Totenköpfe und Todessymbole eine zentrale Rolle. Entstanden ist die Szene am Anfang der 1980er Jahre im Umfeld des Punk und New Wave.
Die Gothic-Szene bildet einen Sammelschwerpunkt des Jugendkulturarchivs des kunstpädagogischen Instituts. Dieser Schwerpunkt rührt jedoch nicht nur daher, dass die Leiterin der Sammlung Birgit Richard einmal selbst Teil dieser Szene war und die ersten Stücke des Archivs aus ihrem Privatbesitz dieser Zeit stammen. Vielmehr soll das Archiv Basismaterial bereit stellen, um Theorien zur Ästhetik von Jugendkulturen zu entwickeln: es soll einen Ausschnitt der Produktwelten der Jugendkulturen bewahren, die sich in immer rascherem Tempo wandeln. Wie schnell diese Wandlung vor sich geht, zeigt unser kleiner tragbarer Sarg sehr gut: In die Sammlung gelangte der Rucksack durch Birgit Richard, die ihn speziell für das Jugendkulturarchiv 1998 in Essen erwarb. Zwar werden auch regelmäßig Firmenspenden, meist Teile alter Modekollektionen oder „Samples“ von Messen in das Archiv integriert, zum größten Teil besteht das Archiv jedoch aus selbst erworbenen Objekten – vor allem da Firmen heutzutage immer seltener Musterstücke zur Verfügung stellen. Es werden ständig neue Objekte zugekauft. Und gerade im Bereich der Totenkopf- und Todessymbolik wird Birgit Richard inzwischen nicht nur in Szene-Geschäften für „Gruftis“, sondern immer mehr auch in großen Bekleidungs- und Accessoire-Geschäften fündig.
Was bedeutet es für eine Szene, wenn ihr Markenzeichen, ihr Stil prägendes Element zum Allgemeingut wird und immer weniger zur Abgrenzung dient? Wie und was kann dies über die materielle Kultur einer Zeit aussagen? Längst kommen die Studierenden der Kunstpädagogik nicht nur im Jugendkulturarchiv mit Objekten mit Todessymbolik oder Gothic-Elementen in Kontakt, es genügt ein Ausflug in die Einkaufsstraßen Deutschlands oder der Blick in die neuesten Modekataloge. Gehören diese Objekte – aus den großen Modeketten, deren Zielpublikum sich alles andere als der Gothic-Szene zuordnen lässt – dann noch in den Bereich des Gothic? Erweitern sie die Szene oder verursachen sie ein Auflösen und Aufgehen in anderen Jugendkulturen? Diesen Fragen gehen nicht nur die „Gruftis“, Mitglieder der Szene, nach, sondern auch Studierende, die im Jugendkulturarchiv auf einen kleinen Sarg zum Umhängen stoßen.
Anja Fröhlich ist Studentin der Geschichte. Sie nahm im Wintersemester 2012/13 an der Studiengruppe „sammeln, ordnen, darstellen“ teil; dieser Text entstand 2014.
Birgit Richard: Todesbilder. Kunst Subkultur Medien, München 1995.
Birgit Richard, Jan Grünwald, Marcus Recht: Schwarze Stile und Netz-Bilder: Zu Ästhetik und den Webcommunities der Gothic und Black Metal Subkulturen, in: Heinz-Hermann Krüger: inter-cool 3.0. Jugend Kunst Medien, München 2010, S. 117–132.
Paul Hodkinson: Goth: Identity, Style and Subculture, London 2002.
Ute Meisel: Die Gothic-Szene – Selbst- und Fremdpräsentation der umstrittenen Jugendkultur, Marburg 2005.
Doris Schmidt, Heinz Janalik: Grufties – Jugendkultur in Schwarz, Baltsmannsweiler 2000.
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Dr. Judith Blume (heute: Koordinatorin der Sammlungen an der Goethe-Universität)
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Die Plattform wurde von der Studiengruppe "sammeln, ordnen, darstellen" am Forschungszentrum für Historische Geisteswissenschaften entwickelt und im Rahmen der Jubiläumsfeierlichkeiten der Goethe-Universität im Jahr 2014 eröffnet. Ihr Aufbau war eng mit der Ausstellung „Ich sehe wunderbare Dinge. 100 Jahre Sammlungen der Goethe-Universität“ verknüpft, die von Oktober 2014 bis Februar 2015 im Museum Giersch der Goethe-Universität zu sehen war. Viele der Objekterzählungen waren auch in der Ausstellung zu lesen und sind im Katalog abgedruckt worden; viele Ausstellungstexte haben wiederum den Weg in die Plattform gefunden. Ebenso wurden die auf der Plattform gezeigten Filme sowie viele der Fotografien eigens für die Ausstellung produziert.
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