von André Luiz Ruivo Ferreira Burmann
1579 – 1798 – 1959. Auf den Arbeitstischen liegen sie, nebeneinander, drei topographische Karten. Deutlich zu erkennen ist der Flusslauf des Mains, ansonsten sind es jedoch drei völlig unterschiedliche Bilder. Gemeinsam ist den Karten lediglich, dass sie das Main-Taunus-Vorland westlich von Frankfurt am Main zeigen – jedoch zu unterschiedlichen Zeiten – und dass sie Teil der um 1906 vom Geographischen Institut angelegten Kartensammlung sind, die 1914 an die just gegründete Frankfurter Universität kam. Nach mehreren Umzügen, der fast vollständigen Zerstörung im Zweiten Weltkrieg und dem beschwerlichen Wiederaufbau befindet sich die Sammlung seit 2007 auf dem Campus Riedberg. Der Bestand umfasst über 65.000 Karten.
Zu den ältesten Karten der Sammlung zählt der 1579 von Abraham Ortelius (1527–1598) herausgegebene, handkolorierte Kupferstich „Hassiae Descriptio“ von Johannes Dryander (1500–1560), der im Maßstab 1:74.000 die Landgrafschaft Hessen-Kassel wiedergibt. Die farbenfrohe Karte mutet wie ein Gemälde an. Die bildhaften Darstellungen der Städte, Befestigungen und Flüsse sind für diese Zeit typisch; es wurde eher auf Ästhetik als auf topographische Genauigkeit Wert gelegt. Beispielsweise befindet sich Sachsenhausen nicht am südlichen Mainufer. Die geographischen Angaben der Karte wurden lateinisch verfasst, so etwa die Himmelsrichtungen; neben der Windrose fehlen auch Legende und Maßstab. Interessant ist die Konzentration der kartographischen Informationen auf die Kartenmitte. Diese wird von Baumketten eingerahmt, Wälder sind nicht flächendeckend dargestellt, fern ab von realitätsgetreuer Landschaftsdarstellung.
Eine der frühesten Karten mit einer genaueren Wiedergabe des Main-Taunus-Vorlands liegt als zweite Karte aus. Es handelt sich um das 1798 veröffentlichte Blatt „7 Diedenbergen“ der sogenannten „Haas‘schen Karte“ im Maßstab 1:30.380. Ab 1788 vom hessischen Artillerieoffizier und Militärkartographen Johann Heinrich Haas (1758–1810) „geographisch aufgenommen und herausgegeben“, diente sie rein militärischen Zwecken. Die zunehmende Qualität der kartographischen Angaben verdeutlichen die feinen, einfarbigen (schwarzen) Striche, die sogar einzelne Nadelbäume des weit ausgedehnten Waldes erkennen lassen. Die Besiedelung ist in dieser Zeit überschaubar, es handelt sich vor allem um kleine, teils befestigte Dörfer mit zentralen Marktplätzen.
Der zeitliche Sprung zur dritten vorliegenden Karte von 1959 ist gewaltig. Zunehmend präzisere, geometrisch-nüchterne Darstellungen wurden unter anderem durch die Arbeit mit dem Messtisch möglich. Mit Tachymeter und Nivelliergeräten ließ sich inzwischen durch Höhenlinien das Landschaftsprofil besser erfassen und darstellen. Böschungs- beziehungsweise Schattenschraffen kennzeichnen das Geländerelief, das jedoch zugunsten der Siedlungsdarstellungen an Ausdruck verlor. In den Fokus rückten nämlich eher zivile Bedürfnisse. 1959 vom Hessischen Landesvermessungsamt herausgegeben,gehört das Blatt „L 5916 Frankfurt a. M.-West“ zur ersten Ausgabe der bundesweiten Karten im Maßstab 1.50.000 (Topographische Karte (TK) 50) – eine Zeichenerklärung und sogar blaue Wasserläufe inklusive! Die eng bebauten Ortskerne sind auf der TK 50 lückenlos gefüllt, Freiflächen sind nicht gekennzeichnet. Dabei sind einzelne Gebäude nur noch selten zu erkennen. Als die urbane Bevölkerung aufgrund der Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg gezwungen war, ins Umland zu ziehen, nahm dort die Besiedelung erheblich zu und die landwirtschaftlich nutzbare sowie die Waldfläche deutlich ab. Zudem erhöhte das stetig ausgebaute Bahn- und Autobahnnetz die Siedlungsattraktivität. Wie Phönix aus der Asche taucht ferner der 1936 eröffnete Frankfurter Flughafen auf.
Plötzlich zeigt die Hilfskraft der Kartensammlung auf einen Bildschirm und zu sehen ist – nach einem Klick – auf einen Blick: das Main-Taunus-Vorland, der Main und der enorm vergrößerte Flughafen, auf einer digitalen Karte. Erst vor wenigen Jahren entwickelt, wird der „HessenViewer“ im„Geoportal Hessen“ seitdem permanent aktualisiert. Seine Funktionen nutzen heute (kostenfrei) nicht nur Fachanwender aus Politik, Verwaltung und Wirtschaft, sondern alle Bürger, die es interessiert. Dank zahlreicher graphischer, drucktechnischer und digitaler Möglichkeiten sind heute unzählige „Momentaufnahmen“ möglich, ganz unkompliziert.
Durch jede Kartierung wird ein Stück Zeitgeschichte dokumentiert und der Wandel der Zeit in Bezug auf Landschaft und Bebauung, aber auch auf Messung, Graphik und Druck präsentiert.
1579 – 1789 – 1959 – Jetzt. Kartiert!
André Luiz Ruivo Ferreira Burmann war 2014 Student der Vor- und Frühgeschichte Afrikas. Der Text entstand im Rahmen der Jubiläumsausstellung „Ich sehe wunderbare Dinge. 100 Jahre Sammlungen der Goethe Universität“ und wurde im Katalog veröffentlicht. Dieses Objekt war in der Jubiläumsausstellung "Ich sehe wunderbare Dinge. 100 Jahre Sammlungen der Goethe-Universität" 2014/2015 zu sehen. Der erläuternde Text wurde für die Ausstellung bzw. den begleitend erschienenden Katalog verfasst.
Nathalie Flauaus: Quantifizierung des Bodengüteverlustes durch Flächenversiegelung und Überbauung von 1876 bis 2004 im Rhein-Main-Gebiet. Dargestellt am Kartenblatt 5916 Hochheim am Main, unpublizierte Diplomarbeit Institut für Physische Geographie der Universität Frankfurt 2010.
Bodo Freund: Strukturwandel der Landwirtschaft unter städtischen Einflüssen. Dargestellt am hessischen Rhein-Main-Gebiet. Mit 57 Tabellen, 24 Karten und 17 Abbildungen, Frankfurt a. M. 1985.
Günter Hake, Dietmar Grünreich, Liqiu Meng: Kartographie. Visualisierung raum-zeitlicher Informationen, 8. Aufl., Berlin, New York 2002.
HessenViewer: http://www.geoportal.hessen.de (Zugriff: 05.01.2014).
http://www.bierlantiquariat.de/kataloge/katalog_133.pdf (Zugriff: 05.01.2014).
Wir freuen uns über Ihre Email an: sammlungen[at]uni-frankfurt.de
Dr. Judith Blume (heute: Koordinatorin der Sammlungen an der Goethe-Universität)
Dr. Vera Hierholzer (bis 2018; heute: Direktorin des Museums für Industriekultur in Osnabrück)
Dr. Lisa Regazzoni (bis 2020; heute: Professur für Theorie der Geschichte an der Universität Bielefeld)
Dr. Judith Blume
Koordinatorin der Sammlungen an der Goethe-Universität
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Die Plattform wurde von der Studiengruppe "sammeln, ordnen, darstellen" am Forschungszentrum für Historische Geisteswissenschaften entwickelt und im Rahmen der Jubiläumsfeierlichkeiten der Goethe-Universität im Jahr 2014 eröffnet. Ihr Aufbau war eng mit der Ausstellung „Ich sehe wunderbare Dinge. 100 Jahre Sammlungen der Goethe-Universität“ verknüpft, die von Oktober 2014 bis Februar 2015 im Museum Giersch der Goethe-Universität zu sehen war. Viele der Objekterzählungen waren auch in der Ausstellung zu lesen und sind im Katalog abgedruckt worden; viele Ausstellungstexte haben wiederum den Weg in die Plattform gefunden. Ebenso wurden die auf der Plattform gezeigten Filme sowie viele der Fotografien eigens für die Ausstellung produziert.
Dr. Judith Blume
Dr. Vera Hierholzer (bis 2018)
Dr. Lisa Regazzoni (bis 2020)
Dr. Charlotte Trümpler (Projektleitung und Kuratorin; Autorenkürzel: CT)
Dr. Judith Blume (Kuratorin, Autorenkürzel: JB)
Dr. Vera Hierholzer (Kuratorin, Autorenkürzel: VH)
Dr. Lisa Regazzoni (wissenschaftliche Mitarbeit, Autorenkürzel: LR)
Die Fotografien wurden von den einzelnen Sammlungen oder Autoren zur Verfügung gestellt sowie von Tom Stern (Sammlungsräume und Objekte), Uwe Dettmar (Objekte) und Jürgen Lechner (Objekte) angefertigt. Die Nachweise finden Sie bei den entsprechenden Abbildungen. Sollte trotz sorgfältiger Recherche ein Rechteinhaber oder Fotograf nicht genannt sein, bitten wir um einen entsprechenden Hinweis.
Sophie Edschmidt (Regie und Schnitt)
Philipp Kehm (Kamera)
Philipp Gebbe (Musik)
Dr. Charlotte Trümpler (Idee und Beratung)
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