von Ansgar Martins
Nur noch ästhetischen und historischen Wert scheinen diese beiden sogenannten Hg-Hochvakuum-Pumpen zu haben. Das komplizierte Innenleben der beiden trübe gewordenen Glaskolben wirkt im Vergleich mit den heutigen, maschinell hoch aufgerüsteten physikalischen Apparaturen so zerbrechlich wie gestrig. Dabei ist jedoch der wissenschaftliche Nutzen der verschlungenen Glasröhrchen nicht zu unterschätzen.
Von den Siedekolben am unteren Ende bis hinauf zur fragilen Spiralform im Innenleben der linken Pumpe macht der Aufbau neugierig. Er verrät allerdings beinahe nichts darüber, wozu die Apparatur dienen soll. Ist die Anordnung nur funktional oder zeigen die merkwürdigen (As-)Symmetrien nicht doch ein Moment gestalterischer Verspieltheit? Und warum wird dieses Objekt aufbewahrt?
Der komplizierte und filigrane Aufbau ist Ausdruck von und Voraussetzung für technische Präzision. Zunächst waren die Pumpen Teil eines größeren Versuchsaufbaus. Dies lässt sich schon an den vier Anschlussrohren der linken Pumpe erkennen. Sie dienten der Zuleitung beziehungsweise dem Ausfluss von Kühlwasser, vor allem aber konnte man sie an eine Vor- beziehungsweise Hochvakuumleitung anschließen. Miteinander verbunden erzeugten die rechte, sogenannte Gaede-Vorpumpe und die linke, sogenannte Volmer-Hochvakuumpumpe ein Vakuum, das fast so gut war wie im Weltraum. Dafür wurde in den von außen elektrisch angeheizten Siedekolben Quecksilber (Hg) verdampft. Der so erreichte Unterdruck konnte direkt am Quecksilberrücklaufrohr abgelesen werden. Zugleich ermöglichten die Pumpen eine empirische Bestätigung des von Niels Bohr (1885–1962) aufgestellten Atommodells. Zwei Pumpen also, die makrokosmische Größen „ankratzen“ und mikrophysikalische Daten liefern können.
Derartige Bereiche erobern neuere, elektronisch vollausgerüstete und mit Öl arbeitende Apparate heute besser, weshalb solche Pumpen lediglich in physikalisch-historischen Sammlungen überlebt haben. Obwohl leicht angestaubt und unscheinbar, zählen die vorliegenden zu den Schmuckstücken der Sammlung des Fachbereichs Physik an der Goethe-Universität – sorgsam beschriftet und mit Draht auf einer Pressspanplatte montiert. Es sind wohl die zwei ältesten serienmäßig produzierten Quecksilberhochvakuumpumpen, hergestellt um 1919. Vor allem aber erzählen sie eine wichtige Episode der physikalischen Forschung in Frankfurt: Die Physiker Otto Stern (1888–1969) und Walther Gerlach (1889–1979) verwendeten diese beiden Pumpen in ihrer Zeit an der Frankfurter Universität (1919–1924). Im berühmten Stern-Gerlach-Versuch beobachteten die beiden Forscher erstmals die Richtungsquantelung der Drehimpulse von Atomen. Dieser grundlegende quantenmechanische Versuch wurde 1922 im Gebäude des Frankfurter Physikalischen Vereins durchgeführt, höchstwahrscheinlich unter Einsatz der beiden Pumpen. Das Experiment erforderte Geduld und höchste Sorgfalt. Gerlach selbst überwachte nächtelang die Öfchen zur Silberschmelze und die Arbeit der Pumpen. Gerlachs Schüler Wilhelm Schütz berichtete vierzig Jahre später: „Wer es nicht miterlebt hat, kann sich gar nicht vorstellen, wie groß die Schwierigkeiten damals waren [...] in einer nicht ausheizbaren Apparatur mit verhältnismäßig viel nichtvakuumgeschmolzenem Metall und einem Öfchen zum Erhitzen des Silbers auf ca. 1300° K ein Vakuum von 10-5(= 0,00001) Torr herzustellen und stundenlang aufrecht zu erhalten. […] Die Sauggeschwindigkeit der Gaedeschen Hg-Vorvakuumpumpen und der Volmerschen Hg-Diffusionspumpen war lächerlich gering im Vergleich zur Leistungsfähigkeit moderner Pumpen. Und dann ihre Zerbrechlichkeit; die Pumpen bestanden aus Glas, und nicht selten ging eine durch Stoßen des siedenden Quecksilbers – trotz Bleizugabe – oder durch Auftropfen von Kondenswasser zu Bruch. Dann war der Erfolg tagelangen Auspumpens zwecks Ausheizung des Öfchens vertan.“ (Schütz: S. 343)
Der Autor war 2014 Student der Religionsphilosophie. Der Text entstand im Rahmen der Jubiläumsausstellung „Ich sehe wunderbare Dinge. 100 Jahre Sammlungen der Goethe Universität“ und wurde im Katalog veröffentlicht. Dieses Objekt war in der Jubiläumsausstellung "Ich sehe wunderbare Dinge. 100 Jahre Sammlungen der Goethe-Universität" 2014/2015 zu sehen. Der erläuternde Text wurde für die Ausstellung bzw. den begleitend erschienenden Katalog verfasst.
Hans-Reinhard Bachmann, Rudolf Heinrich: Walther Gerlach. Physiker, Lehrer, Organisator. Dokumente aus seinem Nachlass, eine Ausstellung im Deutschen Museum zum 100. Geburtstag des Experimentalphysikers, München 1989.
Bretislav Friedrich, Dudley Herschbach: Stern and Gerlach. How a bad cigar helped reorient atomic physics, in: Physics Today, 12. Jg. 2003, S. 53–59.
Heinz Hartmann, Wolfgang Pupp: Vakuumtechnik. Grundlagen und Anwendungen, Leipzig 1991.
Horst Schmidt-Böcking, Karin Reich: Otto Stern. Physiker, Querdenker, Nobelpreisträger, Frankfurt a. M. 2011.
Wilhelm Schütz: Persönliche Erinnerungen an die Entdeckung des Stern-Gerlach-Effektes. Professor Dr. Walther Gerlach in München zum 80. Geburtstag, in: Physikalische Blätter, 25. Jg. 1969, S. 343–345.
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