von Yasemin Soydas
Dieses aus drei Fragmenten bestehende Fossil ist ein bedeutender Teil der paläoanthropologischen Sammlung des Senckenberg Instituts. Die Forschungsgeschichte von Sangiran 4 beginnt mit der Arbeit des Paläoanthropologen Gustav Heinrich Ralph von Koenigswald in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Von Koenigswald ging im Jahr 1930 nach Java und leitete dort Ausgrabungen, bei denen mehrere menschenartige Fossilien entdeckt wurden. Darunter auch im Jahr 1938 der Schädel Sangiran 4, derursprünglich aus fünf Fragmenten und nach der Zusammensetzung von zwei Bruchstücken im Jahre 1942 aus drei Teilen besteht: Ein Stück ist der breite, ausgeprägte und robuste Oberkiefer. Die anderen zwei Elemente bilden das Hinterhaupt dieses Hominiden. Die Bezeichnung „Hominide“ bedeutet „menschenartig“ und beschreibt die Zugehörigkeit zu der zum heutigen Menschen führende Entwicklungslinie, zu der die Vormenschen (Australopithecina) und Menschen (Homo) zählen.
Allerdings passte Sangiran 4 nicht zu den anderen Funden, obwohl sie in derselben Erdschicht gefunden worden waren und sich deshalb eigentlich ähneln mussten. Die vorherigen Funde Sangiran 1, 2 und 3 waren kleiner und fragiler, wohingegen die Knochen bei Sangiran 4 viel robuster und breiter waren. Dies brachte von Koenigswald zum Nachdenken und löste unter den Wissenschaftlern heftige Diskussionen um die Gattungszuordnung und gleichzeitig um die Namensgebung aus. Es bestand Uneinigkeit darüber, ob es sich um einen Menschen oder eher einen Menschenaffen handelte. Von Pithecanthropus 4 (1939) und Pithecanthropus modjokertensis (1945) bis Pithecanthropus erectus (1894), gab es viele verschiedene Vorschläge und Meinungen. Pithecanthropus erectus heißt so viel wie der „aufrecht gehende Affenmensch“.Bei dieser Variante der Namensgebung ging man davon aus, den ersten aufrecht gehenden Menschen vor sich zu haben. Heute weiß man aber, dass schon die Vormenschen, also die Vertreter der Gattung Australopithecus, aufrecht gingen. Schließlich verfestigte sich für Sangiran 4 die Bezeichnung Pithecanthropus robustus (1945), die – davon geht man heute aus – seiner Gattung am ehesten gerecht wird. Sinngemäß bedeutet dies der „aufrecht gehende robuste Mensch“. Er wird nun zur Gruppe der Homo erectus gezählt, welche vor 1,6 Mio. Jahren in Ostafrika entstand und sich über Afrika, Europa und Asien ausbreitete.
Die 1,9-1,6 Mio. Jahre alten Fragmente gelangten vor 60 Jahren in die Frankfurter Sammlung, allerdings auf einigen Umwegen: Japan überfiel im März 1942 Java, dadurch kam es zum Stillstand der Grabungsarbeiten auf der Insel. Als von Koenigswald bemerkte, dass bereits einige originale Fossilien aus Peking verschwunden waren, war er alarmiert und wollte seine Funde, so auch Sangiran 4, schützen. Aus diesem Grund fertigte von Koenigswald Gips-Kopien der Fossilien an, die von den Originalen nur schwer unterscheidbar waren. Bei der Besetzung Javas durch die Japaner wurde von Koenigswald als Kriegsgefangener festgehalten. Seine Frau, die wusste, dass Sangiran 4 für ihren Mann seine wichtigste Entdeckung war, bewahrte den Original-Fund während seiner 32 monatigen Haft, ständig in ihrer Tasche. Sie selbst geriet Dank einheimischer Hilfe nicht in Gefangenschaft. Und so geschah es, dass Sangiran 4 und einige weitere Hominiden den Krieg heil überstanden.
Von Koenigswald hatte nach dem Krieg ein ganz besonderes Vorhaben: Sein Ziel war es, auf Basis der über die vielen Jahre gesammelten wissenschaftlichen Dokumente und Materialien ein internationales Zentrum für die Erforschung der menschlichen Stammesgeschichte zu gründen. Im Jahr 1968 bekam er diese Möglichkeit: Das Forschungsinstitut und Naturmuseum Senckenberg ermöglichte von Koenigswald die Realisierung dieses Anliegens und so zog Koenigswald mit seiner ganzen Sammlung und Bibliothek nach Frankfurt, um dort weiterhin an der Stammesgeschichte des Menschen zu forschen.
Yasemin Soydas war im Sommersemester 2013 Studentin der Philosophie. Der Text entstand im Rahmen einer Lehrveranstaltung der Studiengruppe „sammeln, ordnen, darstellen“.
Hans Berckhemer u. a.: Auf den Spuren des Pithecanthropus. Leben und Werk von Professor Dr. Heinrich Ralph von Koenigswald (1902-1982), Vorträge einer akademischen Gedächtnisfeier am 20. November 1983 im Senckenberg-Museum Frankfurt am Main, Frankfurt am Main 1984.
Jens Lorenz Franzen, Bernhard Rensch: Theoretische Aspekte der Menschwerdung. Zum 70. Geburtstag von Prof. Dr. G.H.R. von Koenigswald, Frankfurt am Main 1974.
Winfried Henke, Hartmut Rothe: Paläoanthropologie, Berlin 1994.
Dietrich Mania: Der Mensch vor 35000 Jahren. Ein Bericht aus unserer Vergangenheit, Artern 1990.
Friedemann Schrenk: Die Frühzeit des Menschen. Der Weg zum Homo Sapiens, München 1997.
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