Innenraum des Hörsaalgebäudes nach Studentenprotesten

Kategorien

Signatur

Abt. 850 Nr.288

Urheber

Unbekannter Fotograf

Datierung

1969

Maße

H 8,5 B 13,5 cm

Material

Fotografie

Objekt-Schaufenster

Drucken
per E-Mail senden

Innenraum des Hörsaalgebäudes nach Studentenprotesten

© Universitätsarchiv Frankfurt

Protestkultur konserviert

von Franziska Kloepfer

Im Sommer 1969 kam es in Frankfurt zu den bis dahin schwersten Auseinandersetzungen zwischen Studenten und Polizei im Rahmen der sogenannten ’68er-Bewegung. Ihre Anhänger kritisierten und bekämpften die herrschenden Verhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland. Ein zentraler Punkt war dabei die Ablehnung der in Machtpositionen verharrenden Tätergeneration des Dritten Reichs, unter anderem an der Universität. Zahlreiche Protestaktionen griffen deshalb auch die Kontinuitäten und Hierarchien der Hochschulorganisation an. Formen, Verlauf und Ergebnisse dieser Protestereignisse wurden nicht selten auch photographisch dokumentiert. So entstand beispielsweise die am 17. April 1969 im Treppenaufgang des Hörsaalgebäudes in Bockenheim aufgenommene Fotografie. Sie zeigt die mit schwarzen Filzstift in Groß-Druckbuchstaben auf einer weißen Wand geschriebene Aufschrift: „Unter den Talaren / Muff von 1000 Jahren“. Der Schriftzug ist leicht von unten fotografiert, was vermuten lässt, dass er relativ groß beziehungsweise weit oben angebracht war und nur aus diesem Blickwinkel ganz zu erfassen war. Dies bestätigt der kleine Ausschnitt einer Tür, die links auf dem schwarz-weiß Foto zu erkennen ist und ebenso mit schwarzem Filzstift beschrieben wurde.

Aufbewahrt wird die Fotografie mit vielen anderen in der Photographischen Sammlung des Universitätsarchivs Frankfurt. Oben links in der Ecke des weißen Kartons sehen wir das Logo des Uniarchivs, darunter die Archivsignatur des Bildes. Die Abteilung 850 ist die Ereignissammlung, in der Fotografien von offiziellen Veranstaltungen und wissenschaftlichen Tagungen, aber eben auch des studentischen Lebens und der Studentenproteste festgehalten werden. Insgesamt fasst die Photographische Sammlung über 7500 Fotografien, sowie mehrere hundert Dias. Sie wächst stetig – regelmäßig kommen auch neue Fotografien des studentischen Lebens hinzu. Anschaulich wird dies unter anderem an den „Graffitis“, die an allen Orten der Universität zu finden sind und bei besonderen Anlässen – wie kürzlich etwa die umfassende Dokumentation des zum Abriss stehenden AfE-Turms – dokumentiert werden. So wie einst dieser Spruch, den ich nun aus den Archivalien wieder ans Licht gebracht habe, um eben diese Geschichte zu erzählen.

Die fotografierte Frankfurter Inschrift griff einen bekannten Leitspruch der 68er-Bewegung auf, der am 9. November 1967 von Hamburger Studenten erstmals verwendet worden war und einen Skandal auslöste: Bei einem Festakt an der Universität Hamburg hatten sich Studenten in eine Prozession der Talar tragenden Lehrstuhlinhaber gemischt und an deren Spitze gesetzt. Unbemerkt von den Professoren trugen sie ein Transparent mit der anschließend berühmt gewordenen Parole vor sich her und konterkarierten so die Veranstaltung.

Sie stellten auf diese Weise die elitären und veralteten Strukturen der Universitätspolitik, ihre Rituale und Hierarchien und die aus ihrer Sicht fehlende Auseinandersetzung mit den Verbrechen des NS-Staates – des sogenannten „1000 jährigen Reiches“– in Frage. Deutlich problematisierten sie die Rolle der Universität und forderten eine Demokratisierung der Hochschule sowie eine Mitbestimmung für die Studentenschaft. Mit ihren Protesten läutete die 68er-Bewegung einen Umbruch in der (Hochschul-)Politik und im Denken ein. Ihr Vermächtnis, zu dem die Wandaufschrift gehört, fand deshalb zu Recht den Weg in das offizielle Archiv der Universität. Durch die Aufbewahrung solcher Aufzeichnungen können Protestkulturen rekonstruiert, ihre Ziele und die Geschehnisse für spätere Generationen verständlich vermittelt werden. Damit diese mit dem Wissen der Vergangenheit in eine Zukunft treten können, in der sich Widerstand auch weiterhin lohnen kann.

Franziska Kloepfer war im Sommersemester 2013 Studentin der Kunstgeschichte. Der Text entstand im Rahmen einer Lehrveranstaltung der Studiengruppe „sammeln, ordnen, darstellen“.

Literatur

Michael Maaser: Stadt, Universität, Archiv. Das Archiv der Johann Wolfgang Goethe Universität Frankfurt am Main, Frankfurt a. M. 2011.

Walter Rüegg, Walter: Revolutionsschwärmerei oder Reformstrategie?, in: Uni-Report, Nr. 3 (1969), S. 1–2.

Walter Rüegg: Die 68er Jahre und die Frankfurter Schule. Vortrag, gehalten im Rahmen der Margot-und-Friedrich-Becke-Stiftung am 31. Mai 2008 in Heidelberg, Heidelberg 2008. http://www2.uni-frankfurt.de/39282519/Bestaende (letzter Zugriff: 12. August 2013)

Uwe Bahnsen : "Unter den Talaren Muff von 1000 Jahren" - Ein Plakat geht um die Welt Ex-Staatsrat Gert Hinnerk Behlmer provozierte damals die Universität, DIE WELT, 12.11.2007. http://www.welt.de/welt_print/article1354405/Unter-den-Talaren-Muff-von-1000-Jahren-Ein-Plakat-geht-um-die-Welt.html (letzter Zugriff: 25.6.2014)

Zurück zum Anfang der Seite

IMPRESSUM


Haben Sie Anregungen, Fragen oder Ergänzungen?

Wir freuen uns über Ihre Email an: sammlungen[at]uni-frankfurt.de

Konzept, Entwicklung und Herausgabe der Plattform

Dr. Judith Blume (heute: Koordinatorin der Sammlungen an der Goethe-Universität)
Dr. Vera Hierholzer (bis 2018; heute: Direktorin des Museums für Industriekultur in Osnabrück)
Dr. Lisa Regazzoni (bis 2020; heute: Professur für Theorie der Geschichte an der Universität Bielefeld)

Betreuung der Plattform

Dr. Judith Blume
Koordinatorin der Sammlungen an der Goethe-Universität
Universitätsbibliothek J.C. Senckenberg
Bockenheimer Landstraße 134-138
60325 Frankfurt/Main
Tel: 0049-(0)69-798-39197
J.Blume [at] ub.uni-frankfurt.de

Programmierung

Sven Winnefeld
www.winkin-verlag.de

Design

FGS Kommunikation – Steffen Grzybek, Martin Schulz GbR
www.fgs-kommunikation.de

Developed By

Jatinkumar Nakrani
linkedin
Github

Entstehungskontext

Die Plattform wurde von der Studiengruppe "sammeln, ordnen, darstellen" am Forschungszentrum für Historische Geisteswissenschaften entwickelt und im Rahmen der Jubiläumsfeierlichkeiten der Goethe-Universität im Jahr 2014 eröffnet. Ihr Aufbau war eng mit der Ausstellung „Ich sehe wunderbare Dinge. 100 Jahre Sammlungen der Goethe-Universität“ verknüpft, die von Oktober 2014 bis Februar 2015 im Museum Giersch der Goethe-Universität zu sehen war. Viele der Objekterzählungen waren auch in der Ausstellung zu lesen und sind im Katalog abgedruckt worden; viele Ausstellungstexte haben wiederum den Weg in die Plattform gefunden. Ebenso wurden die auf der Plattform gezeigten Filme sowie viele der Fotografien eigens für die Ausstellung produziert.

Leitung der Studiengruppe "sammeln, ordnen, darstellen"

Dr. Judith Blume
Dr. Vera Hierholzer (bis 2018)
Dr. Lisa Regazzoni (bis 2020)

Team der Jubiläumsausstellung

Dr. Charlotte Trümpler (Projektleitung und Kuratorin; Autorenkürzel: CT)
Dr. Judith Blume (Kuratorin, Autorenkürzel: JB)
Dr. Vera Hierholzer (Kuratorin, Autorenkürzel: VH)
Dr. Lisa Regazzoni (wissenschaftliche Mitarbeit, Autorenkürzel: LR)

Fotografien

Die Fotografien wurden von den einzelnen Sammlungen oder Autoren zur Verfügung gestellt sowie von Tom Stern (Sammlungsräume und Objekte), Uwe Dettmar (Objekte) und Jürgen Lechner (Objekte) angefertigt. Die Nachweise finden Sie bei den entsprechenden Abbildungen. Sollte trotz sorgfältiger Recherche ein Rechteinhaber oder Fotograf nicht genannt sein, bitten wir um einen entsprechenden Hinweis.

Filmproduktion

Sophie Edschmidt (Regie und Schnitt)
Philipp Kehm (Kamera)
Philipp Gebbe (Musik)
Dr. Charlotte Trümpler (Idee und Beratung)


Finanzierung


Haftungsausschluss/Disclaimer

Die Studiengruppe "sammeln, ordnen, darstellen" des Forschungszentrums für Historische Geisteswissenschaften der Goethe-Universität Frankfurt übernimmt keinerlei Verantwortung für die Inhalte von Webseiten, welche durch die auf unseren Seiten angeführten Links erreichbar sind. Die auf solchen Webseiten wiedergegebenen Meinungen und/oder Tatsachenbehauptungen liegen in der alleinigen Verantwortung der/des jeweiligen Autorin/Autors. Da wir auf Änderungen durch Autoren externer Webseiten keinerlei Einfluss haben, weisen wir ferner ausdrücklich darauf hin, dass wir uns Texte oder Aussagen Dritter, welche durch Links auf externen Webseiten zugänglich sind, in keiner Weise zu eigen machen.