von Prof. Dr. Dirk Wicke
Zu sehen ist die Gips-Replik einer reliefierten Steintafel, die in Südmesopotamien 1883 vom British Museum erworben wurde, nachdem sie 1881 von Hormuzd Rassam in Sippar oder Babylon entdeckt worden war. Aufgrund der Inschrift war sie ursprünglich wohl in einem der Tempel in der Stadt Sippar bzw. Babylon aufgestellt, um dort eine Immobilientransaktion zu vor den Göttern zu dokumentieren. Das Original befindet sich im British Museum (BM 90922).
Die Tafel zeigt auf der Vorderseite im Hauptbildfeld rechts den babylonischen König Nabû-apla-iddina mit Tiara und Stab und links den gleichnamigen Priester Nabû-apla-iddina, Sohn des Atnaja, mit grüßend erhobener rechter Hand bei einer sog. Belehnungsszene.
Im einem oberen Register der Vorderseite sind verschiedene Göttersymbole zu sehen. Jeweils auf kleinen, rechteckigen Symbolsockeln stehen ein Spaten, ein Stab mit Widderkopf, ein gekerbter Griffel sowie zwei Hörnerkronen. Daneben stehen eine Keule mit Adlerkopf und eine zweite mit Löwenkopf und ein Blitzbündel und eine Lampe auf den Schmalseiten. Diese Gegenstände symbolisieren die babylonischen Götter Marduk (Spaten), Ea (Widderstab), Nabû (Griffel), Anu (Hörnerkrone), Enlil (Hörnerkrone), Zababa (Adlerstab) und Nergal (Löwenstab) sowie Adad (Blitzbündel) und Nusku (Lampe). Auf der schmalen Oberseite finden sich vier astrale Göttersymbole für die Götter Sîn (Mondsichel), Schamasch (Sonnenscheibe), Ischtar (Venusstern) und Gula (Omega-Schleife).
Beide Personen sind jeweils mit Inschriften genau bezeichnet und können daher identifiziert werden. Unter der Szene beginnt der in babylonischer Keilschrift geschriebene Text, der sich über die gesamte Rückseite erstreckt. Der Text beinhaltet die Vergabe von Land an den Priester Nabû-apla-iddina durch den babylonischen König in seinem 20. Regierungsjahr, also ca. 866 v. Chr. Dieser erhielt drei GUR Ackerland zwischen dem Maše-Kanal und dem Euphrat sowie fünf Gärten.
Die Steintafel ist dabei nur eine prunkvolle Ausfertigung der Transaktion, die zusätzlich in mehrfacher Ausfertigung auf Tontafeln niedergelegt, gesiegelt und an die Beteiligten zur Dokumentation übergeben worden war. So nennt die wortgetreue Abschrift auf der Steintafel etwa auch alle fünf Zeugen, die mit ihren Siegeln die Urkunde beglaubigt haben.
Die Göttersymbole und auch die Anrufung der Götter sowie die Aufstellung in einem Tempel dient dabei vor allem dem göttlichen Schutz des Vertragsdokumentes, und es handelt sich um eine übliche Form der Darstellung. Diese Art der repräsentativen Ausführung von Immobilienurkunden (bab. „kudurru“) hat eine lange Tradition in Mesopotamien, die bis in das 14. Jh. Chr. bzw. möglicherweise in das frühe 3. Jt. v. Chr. zurückreicht.
Dirk Wicke ist Professor für Vorderasiatische Archäologie und Leiter der Altorientalischen Sammlung am Institut für Archäologische Wissenschaften der Goethe-Universität Frankfurt a.M.. Seine Forschungsschwerpunkte sind Altorientalisches Kunsthandwerk / Elfenbeinschnitzerei, Eisenzeitliche Bildkunst in Nordsyrien und Südostanatolien, Brandbestattungen im Alten Orient, sowie die Geschichte und Kultur Mesopotamiens im 2. und 1. Jt. v. Chr.
L. W. King (Hrsg.), Babylonian Boundary-Stones and Memorial-Tablets in the British Museum. London 1912, S. 104-106, Taf. CIII und 14.
L. de Meyer, Tell ed-Dêr III. Leuven 1980, S. 102 Nr. 59.
U. Seidl, Die babylonischen Kudurru-Reliefs. OBO 87. Freiburg/Göttingen 1989, 55.
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