von Nina Huber
Zwei zu einem U gebogene Eisenstreben mit Ösen am Ende sind durch eine circa 30 Zentimeter lange Eisenstange verbunden. Diese ist an den Enden verbreitert beziehungsweise umgebogen und kann durch einen Bolzen verschlossen werden, sodass die U-Formen nicht mehr abnehmbar sind. Wenn man nicht weiß, um was es sich bei diesem Objekt handelt, ist es auf den ersten Blick eher unscheinbar. Angesichts all der anderen bunten und aufregenden Objekte der Ethnographischen Sammlung des Frobenius-Instituts bleibt das Auge im Vorbeistreifen vielleicht nicht unbedingt an ihm hängen. Braun und rostig liegt es im Regal. Man sieht diesem Objekt sein Alter an, nicht aber seine Geschichte. Dabei ist es mit dem persönlichen Schicksal eines Menschen verbunden wie vielleicht kaum ein anderes Sammlungsstück und spiegelt gleichzeitig einen bedeutenden Teil der Menschheitsgeschichte wider. Es handelt sich um eine Sklavenfessel – ein Instrument der Beherrschung und Demütigung. Sie stammt vermutlich von den Marka, aus dem Ort Bobo-Diula in Burkina Faso, Westafrika, und wurde 1990 von Andrea Wenzek gesammelt, die sich im Rahmen eines Projekts des Sonderforschungsbereichs »Kulturgeschichte und Sprachentwicklung im Naturraum Westafrikanische Savanne« in der Region aufhielt.
Die U-förmige Sklavenfessel, auch als Bilboes-Typ bezeichnet, lässt sich einfach herstellen. Sie wurde – je nach Größe – benutzt, um Kinder, Frauen oder Männer hauptsächlich an den Füßen zu fesseln. Entweder umschloss sie die beiden Knöchel einer einzelnen Person oder zwei Sklaven wurden zusammengekettet, um sie an der Fortbewegung und somit an der Flucht oder einem Aufstand zu hindern. Häufig wurden diese U-förmigen Fesseln eingesetzt, um afrikanische Sklaven beim Transport mit dem Schiff unter Deck zu halten und sie besser kontrollieren zu können. Die rostige Fessel ist somit ein trauriges Symbol des transatlantischen Sklavenhandels, der in der Neuzeit mit der Ausdehnung des europäischen Seehandels und der Errichtung überseeischer Kolonien einen Aufschwung erfuhr. Sie steht stellvertretend für eine ganze Epoche, in der es allgemein üblich war, Menschen anderer Hautfarbe als Ware zu betrachten, sie zu unterjochen und auszubeuten.
Stellt man sich die mögliche Geschichte dieses Objektes vor, so wird es zum Zeugnis eines persönlichen Schicksals, das zwar nicht mehr rekonstruierbar ist, jedoch mehr berühren kann als die historischen Fakten und Zahlen, die in den Geschichtsbüchern über Sklaverei zu lesen sind. Wenn diese Sklavenfessel vor einem liegt, fragt man sich unweigerlich, wie sich Eisen auf nackter Haut anfühlt. Wie es ist, unfrei zu sein und gedemütigt oder vergewaltigt zu werden, wie es sich anfühlt, seine Heimat, seine Familie und Freunde verlassen zu müssen, mit der Gewissheit, sie nie wieder zu sehen. Und was es für einen Menschen bedeutet, nur eine Ware zu sein. Dieses Objekt steht für Angst, Schmerz, Gewalt und Zwang. Es steht für Millionen von Menschen, die von europäischen Händlern als Sklaven über den Atlantik gebracht wurden.
Bei all dieser Bedeutung stellt sich die Frage, was mit dem Objekt geschah, bevor es in die Sammlung des Frobenius-Instituts gelangte. Es ist nicht bekannt, ob es in der langen Zeit zwischen seiner vermuteten Nutzung als Sklavenfessel und seinem Ankauf durch die Wissenschaftlerin in einem Museum oder in Privatbesitz – bei einem Nachfahren eines Sklaven oder bei einem Sammler – verweilte. Ebenso wenig wie seine Geschichte ist das genaue Alter des Objekts dokumentiert. Als »Fußring des Sklavenaufstandes« ist es zwar in Frankfurt vermerkt, nicht aber, wann der Aufstand war und welche Rolle die Fessel dabei spielte. Es besteht auch die Möglichkeit, dass diese Fessel nie einen Menschen gedemütigt hat und dass der Sklave, der sie trug, nie verschifft wurde. Vielleicht konnte er sich befreien oder wurde befreit. Oder er starb während eines Sklavenaufstandes, bevor er sich auf Plantagen zu Tode schuften konnte. All diese Fragen werden wohl nicht mehr beantwortet werden können. Und dennoch ist es wichtig, sie zu stellen, um auch die einzelnen Personen nicht aus den Augen zu verlieren, deren Geschichte nie aufgeschrieben wurde und deren Namen wir nicht kennen. Von einem Objekt wie der afrikanischen Sklavenfessel kann man etwas über die Vergangenheit, aber auch etwas für die Zukunft mit ihren neuen, subtilen Formen von Arbeitssklaverei lernen, indem man Fragen stellt, die weniger mit den Fakten als vielmehr mit Emotionen und Bewusstsein zu tun haben. Diese ermöglichen uns eine andere Perspektive auf die Geschichte.
Nina Huber war 2013 Studentin der Curatorial Studies. Der Text entstand im Rahmen der Jubiläumsausstellung „Ich sehe wunderbare Dinge“ und wurde im Katalog veröffentlicht. Dieses Objekt war in der Jubiläumsausstellung "Ich sehe wunderbare Dinge. 100 Jahre Sammlungen der Goethe-Universität" 2014/2015 zu sehen. Der erläuternde Text wurde für die Ausstellung bzw. den begleitend erschienenden Katalog verfasst.
Basil Risbridger Davidson: The African slave trade, Oxford 2004.
Alfred Hendricks (Hg.): Mit und ohne Ketten. Sklaverei und Abhängigkeit in 2 Jahrtausenden, Münster 2001.
Corey Malcom: The Iron Bilboes of the Henrietta Marie, in: The Navigator. Newsletter of the Mel Fisher Maritime Heritage Society, Vol. 13, Nr. 10, Oktober 1998.
http://www.melfisher.org/pdf/Henrietta_Marie_Iron_Bilboes.pdf (Zugriff: 26.02.2014).
Jochen Meissner, Ulrich Mücke, Klaus Weber: Schwarzes Amerika. Eine Geschichte der Sklaverei, München 2008.
Michael Zeuske: Sklaven und Sklaverei in den Welten des Atlantiks, 1400–1940. Umrisse, Anfänge, Akteure, Vergleichsfelder und Bibliographien, Berlin, Münster 2006.
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Dr. Judith Blume (heute: Koordinatorin der Sammlungen an der Goethe-Universität)
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Die Plattform wurde von der Studiengruppe "sammeln, ordnen, darstellen" am Forschungszentrum für Historische Geisteswissenschaften entwickelt und im Rahmen der Jubiläumsfeierlichkeiten der Goethe-Universität im Jahr 2014 eröffnet. Ihr Aufbau war eng mit der Ausstellung „Ich sehe wunderbare Dinge. 100 Jahre Sammlungen der Goethe-Universität“ verknüpft, die von Oktober 2014 bis Februar 2015 im Museum Giersch der Goethe-Universität zu sehen war. Viele der Objekterzählungen waren auch in der Ausstellung zu lesen und sind im Katalog abgedruckt worden; viele Ausstellungstexte haben wiederum den Weg in die Plattform gefunden. Ebenso wurden die auf der Plattform gezeigten Filme sowie viele der Fotografien eigens für die Ausstellung produziert.
Dr. Judith Blume
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Sophie Edschmidt (Regie und Schnitt)
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Dr. Charlotte Trümpler (Idee und Beratung)
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