Faustkeil

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Signatur

Inv. Nr. 1.1/12-10 (1903/1322)

Urheber

Acheuléen (Kultur des eurasischen Altpaläolithikums bzw. des afrikanischen Early Stone Age)

Datierung

in Afrika ab ca. 1,5 Mio. bis vor ca. 200.000–100.000 Jahren

Maße

H 24,5, B 14, T 4 cm

Material

Stein

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Faustkeil

© Barbara Voss, Institut für Archäologische Wissenschaften

„Schweizer Messer der Steinzeit“

von André Luiz Ruivo Ferreira Burmann

»Das ist doch nur ein Stein.« So begegnete man mir und anderen Faustkeilen bis vor nicht allzu langer Zeit. Ab 1838 gelang es jedoch allmählich, ein differenzierteres Bild von uns zu verbreiten, als der Geologe Charles Lyell (1797 – 1875) das vom Hobbyarchäologen Jacques Boucher de Perthes (1788 – 1868) postulierte steinzeitliche Alter von Faustkeilen bestätigen konnte.

Zusammen mit 281 weiteren Faustkeilen sowie einer Vielzahl anderer Steinartefakte wie Schaber, Kratzer, Klingen und Mikrolithen befinde ich mich in der Lehrsammlung der Abteilung Vor- und Frühgeschichte Afrikas am Institut für Archäologische Wissenschaften im 7. Stock des IG-Farben-Hauses der Goethe-Universität. Wir dienen vor allem der Lehre.

Um 2008/09 kam ich an die Universität – als Stiftung eines Sammlerehepaares, das jahrelang Reisen in die Sahara unternommen und archäologisches sowie ethnologisches Material gesammelt hatte. Wann und wo wir uns begegneten, weiß ich leider nicht mehr. Dass ich – wie die meisten der gesammelten Artefakte – an der Oberfläche lag, ist aber bekannt. Zudem bin ich mit Zahlen und Buchstaben jüngeren Datums versehen, darunter auch Koordinaten, die auf meinen Auffindungsort im nördlichen Niger hinweisen.

Allgemein fallen wir unter die Kategorie Steinartefakte, also vom Menschen bearbeitete Steine, die unter anderem als Werkzeuge gedient haben. Meine Art wird Faustkeil genannt, wohl aufgrund der faustdicken und keilähnlichen Form. Die Definition – ein beidseitig flächenretuschiertes Gerät mit spitz-ovalem Querschnitt, einer wenig bearbeiteten, breiten und verdickten Basis, scharfen Kanten und einer sorgfältig zugerichteten Spitze – bezieht sich sozusagen auf unseren kleinsten gemeinsamen Nenner, denn de facto existieren variantenreiche Formen und Typen.

Wir Faustkeile stellen die ältesten standardisierten Werkzeuge der Menschheit dar. Zu meinem genauen Alter kann ich keine Angaben machen. Jedoch haben einige meiner Art die Zeit nach ihrer Nutzung unter Tage verbracht und konnten somit von Forschern anhand datierbarer Bodensedimente, in denen sie die Zeit überdauerten, einem Zeitraum zugeordnet werden, der der Kulturepoche des Acheuléen entspricht. Das Acheuléen wurde nach dem französischen Fundort St. Acheul benannt, in dem der erste bekannte Faustkeilfund von Boucher de Perthes gemacht wurde. In Afrika begann die Epoche vor etwa 1,5 Millionen Jahren, als Faustkeile den Geröllgeräten der vorausgegangenen Oldowan-Produktion den Rang abliefen, und endete vor etwa 200.000 bis 100.000 Jahren, wobei einige Exemplare wohl bis vor etwa 30.000 Jahren Verwendung fanden. Man schreibt uns vor allem dem Homo erectus (ab etwa 1,9 Millio- nen Jahren), aber auch dem archaischen Homo sapiens (ab etwa 500.000 bis 200.000 Jahren) zu. Somit ist der Faustkeil gemessen an der Dauer seiner Verwendung auch das erfolgreichste Gerät in der Geschichte der Menschheit.

Die Multifunktionalität der Faustkeile ist kaum abzustreiten. An meinem Äußeren sind noch Abnutzungsspuren zu erkennen; mir ist jedoch nicht mehr im Detail bekannt, welche im Rahmen steinzeitlicher Tätigkeiten wie Schaben, Kratzen, Schneiden, Bohren, Zerkleinern oder Werfen und welche erst später durch Umlagerungen, Sandschliff oder durch Sammlungstätigkeiten entstanden sind. Mikroskopische sowie physisch-chemische Untersuchungen würden sicherlich zu weiteren und detaillierteren Erkenntnissen über Verwendung und Herstellung führen. Damit können wir Steinartefakte dazu beitragen, steinzeitliche Lebensbedingungen und Alltagsprozesse wieder lebendig werden zu lassen.

Inzwischen sehe ich leider kaum noch das Tageslicht. Vor einigen Jahrhunderttausenden noch unersetzbare Werkzeuge und wertvolle Besitztümer, fristen wir heute ein Dasein als oft verstaubte Sammlungsobjekte in dunklen Regalen oder Kisten. Immerhin werden wir gelegentlich zu Forschungs- oder Ausstellungszwecken aufgesucht. Manchmal bringt man uns auch in den 6. Stock, in ein Seminar zu Studierenden, die uns kennenlernen möchten. Es ist nicht mehr so wie früher. Immer modernere, in der Herstellung einfachere und bessere Steinwerkzeuge und Steintechnologien verdrängten uns im Laufe der Zeit. Wir wurden nutzlos, viele unserer Art zerschlagen oder weggeworfen. Form und Bleibe gingen verloren. Wir hier in der Frankfurter Sammlung haben es dagegen noch ganz gut.

Kommt uns mal besuchen! Wir würden uns freuen!

André Luiz Ruivo Ferreira Burmann war 2014 Student der Vor- und Frühgeschichte Afrikas. Der Text entstand im Rahmen der Jubiläumsausstellung „Ich sehe wunderbare Dinge. 100 Jahre Sammlungen der Goethe Universität“ und wurde im Katalog veröffentlicht. Dieses Objekt war in der Jubiläumsausstellung "Ich sehe wunderbare Dinge. 100 Jahre Sammlungen der Goethe-Universität" 2014/2015 zu sehen. Der erläuternde Text wurde für die Ausstellung bzw. den begleitend erschienenden Katalog verfasst.

Literatur

Joachim Hahn: Erkennen und Bestimmen von Stein- und Knochenartefakten. Einführung in die Artefaktmorphologie, Tübingen 1993.

Friedemann Schrenk: Die Frühzeit des Menschen. Der Weg zum Homo sapiens, München 2008.

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IMPRESSUM


Haben Sie Anregungen, Fragen oder Ergänzungen?

Wir freuen uns über Ihre Email an: sammlungen[at]uni-frankfurt.de

Konzept, Entwicklung und Herausgabe der Plattform

Dr. Judith Blume (heute: Koordinatorin der Sammlungen an der Goethe-Universität)
Dr. Vera Hierholzer (bis 2018; heute: Direktorin des Museums für Industriekultur in Osnabrück)
Dr. Lisa Regazzoni (bis 2020; heute: Professur für Theorie der Geschichte an der Universität Bielefeld)

Betreuung der Plattform

Dr. Judith Blume
Koordinatorin der Sammlungen an der Goethe-Universität
Universitätsbibliothek J.C. Senckenberg
Bockenheimer Landstraße 134-138
60325 Frankfurt/Main
Tel: 0049-(0)69-798-39197
J.Blume [at] ub.uni-frankfurt.de

Programmierung

Sven Winnefeld
www.winkin-verlag.de

Design

FGS Kommunikation – Steffen Grzybek, Martin Schulz GbR
www.fgs-kommunikation.de

Developed By

Jatinkumar Nakrani
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Entstehungskontext

Die Plattform wurde von der Studiengruppe "sammeln, ordnen, darstellen" am Forschungszentrum für Historische Geisteswissenschaften entwickelt und im Rahmen der Jubiläumsfeierlichkeiten der Goethe-Universität im Jahr 2014 eröffnet. Ihr Aufbau war eng mit der Ausstellung „Ich sehe wunderbare Dinge. 100 Jahre Sammlungen der Goethe-Universität“ verknüpft, die von Oktober 2014 bis Februar 2015 im Museum Giersch der Goethe-Universität zu sehen war. Viele der Objekterzählungen waren auch in der Ausstellung zu lesen und sind im Katalog abgedruckt worden; viele Ausstellungstexte haben wiederum den Weg in die Plattform gefunden. Ebenso wurden die auf der Plattform gezeigten Filme sowie viele der Fotografien eigens für die Ausstellung produziert.

Leitung der Studiengruppe "sammeln, ordnen, darstellen"

Dr. Judith Blume
Dr. Vera Hierholzer (bis 2018)
Dr. Lisa Regazzoni (bis 2020)

Team der Jubiläumsausstellung

Dr. Charlotte Trümpler (Projektleitung und Kuratorin; Autorenkürzel: CT)
Dr. Judith Blume (Kuratorin, Autorenkürzel: JB)
Dr. Vera Hierholzer (Kuratorin, Autorenkürzel: VH)
Dr. Lisa Regazzoni (wissenschaftliche Mitarbeit, Autorenkürzel: LR)

Fotografien

Die Fotografien wurden von den einzelnen Sammlungen oder Autoren zur Verfügung gestellt sowie von Tom Stern (Sammlungsräume und Objekte), Uwe Dettmar (Objekte) und Jürgen Lechner (Objekte) angefertigt. Die Nachweise finden Sie bei den entsprechenden Abbildungen. Sollte trotz sorgfältiger Recherche ein Rechteinhaber oder Fotograf nicht genannt sein, bitten wir um einen entsprechenden Hinweis.

Filmproduktion

Sophie Edschmidt (Regie und Schnitt)
Philipp Kehm (Kamera)
Philipp Gebbe (Musik)
Dr. Charlotte Trümpler (Idee und Beratung)


Finanzierung


Haftungsausschluss/Disclaimer

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