von Nina Müller
Eine Gruppe junger Männer steht mit dem Rücken zum Fotografen im Kreis zusammen. In ihren Händen halten sie Äxte, die sie – ihre Gesichter zueinander gewandt – über ihren Köpfen schwingen. Eine dörfliche Kulisse ist an zwei Lehmhütten im Hintergrund erkennbar. Dominierende lange Schatten in der unteren Bildhälfte stechen dem Betrachter sofort ins Auge und bewirken eine Identifikation mit dem Fotografen: einerseits als Dokumentar des fotografierten Geschehens, andererseits durch den geschlossenen Kreis der Personen als außenstehend und isoliert. Auf dem Boden liegendes Gepäck am linken Bildrand weist auf eine möglicherweise kürzlich zurückliegende Ankunft, eine bevorstehende Abreise oder eine Pause hin.
Diese Schwarz-Weiß-Fotografie mit dem historischen Titel "Tanz der Boys in Matmeba" kann allgemein als charakteristisch für die Rolle des feldforschenden Ethnologen interpretiert werden, denn das Erscheinen des Forschungsreisenden auf einem von ihm selbst aufgenommenen Foto verweist auf seine ambivalente Funktion: Als Beobachter, der außerhalb des Geschehens zu sein scheint, aber gleichzeitig – sicherlich damals unbewusster als heute – Einfluss auf das zu untersuchende „Feld“ ausübt. Zur damaligen Zeit arrangierten Forscher oftmals Szenen, in denen die Kultur der zu Untersuchenden repräsentiert werden sollte. Die hier abgelichtete Männergruppe steht zwar im Zentrum der Fotos und der Fotograf eher am Rand. Aber dennoch lässt der starke Schattenwurf die vorhandene Machthierarchie sichtbar werden.
Der Forscher, der nicht neutral und objektiv seine Forschung durchführen kann, gliedert sich ein und wird somit Teil des sozialen Gefüges. Die Bestrebung sich einem kulturellen Phänomen mittels teilnehmender Beobachtung zu nähern, stellt oftmals eine persönliche Herausforderung dar. Es herrscht eine gewisse Distanz, die es zu überwinden gilt um die vorgefunden kulturellen Phänomene und Muster verstehen zu können. So lautet zumindest das Ideal des feldforschenden Ethnologen. In diesem Bild wird sie jedoch durch das Nicht-Mittanzen des schattenwerfenden, eindeutig am Tropenhelm zu erkennenden europäischen Forschers deutlich. Zudem steht seine starre Körperhaltung im Gegensatz zu der als Unschärfe wahrnehmbaren Tanzbewegung der jungen Männer, die eine entspannte und ausgelassene Stimmung inmitten der morgendlichen oder abendlichen Sonne vermitteln. Der Betrachtende muss das Foto im Kontext seiner Entstehungszeit sehen, die vom europäischen Kolonialismus in Afrika geprägt war und von einem evolutionistischen Weltbild dominiert wurde. Man kann die europäische Präsenz und die wirtschaftliche Ausbeutung auch metaphorisch in diesem Foto wiederfinden: Die Europäer werfen ihre Schatten auf die vor Ort vorgefundene Welt und beeinflussen sie bis heute.
Unklar ist, in welchem Kontext der auf der Fotografie wiedergegebene Tanz stattgefunden hat. Fest steht, dass die Aufnahme aus dem Zeitraum zwischen 1928 und 1930 bei Matembe in Zimbabwe stammt und während der neunten, von Leo Frobenius (1873–1938) durchgeführten Expedition in das südliche Afrika entstand. Frobenius beabsichtigte die „Konservierung" der afrikanischen Kulturen, womit er materielle Gegenstände, orale Traditionen, Feste und Tänze meinte. Dennoch verrät ein Detail in diesem Foto das problematische Spannungsfeld zwischen Dokumentieren und Inszenieren: Der am rechten unteren Bildrand stehende Schatten eines Stativs bezeugt, dass es sich nicht um einen zufälligen Schnappschuss handelt, sondern um eine geplante Inszenierung.
Seit Ende der 1990er Jahre wurden die Fotografien aus den Expeditionen und Reisen des Frobenius-Instituts in einfacher Form erfasst und in eine Bilddatenbank eingespeist. Seit 2009 ist sie für die Online-Recherche freigegeben. Die heutige Auseinandersetzung dient vielfältigen Zwecken. So haben durch die Digitalisierung auch Menschen aus den Herkunftsländern der Fotografien einen vereinfachten Zugang zu historischen Aufnahmen ihrer Heimat und können diese für wissenschaftliche Auseinandersetzungen nutzen und somit das Deutungsspektrum des Abgebildeten erweitern. Welche Vergangenheit ihrer eigenen Kultur sie damit rekonstruieren werden, bleibt die offene und spannende Frage.
Die Autorin ist M. A. der Ethnologie. Der Text entstand 2014 im Rahmen der Jubiläumsausstellung „Ich sehe wunderbare Dinge. 100 Jahre Sammlungen an der Goethe Universität“ und wurde im Katalog veröffentlicht. Dieses Objekt war in der Jubiläumsausstellung "Ich sehe wunderbare Dinge. 100 Jahre Sammlungen der Goethe-Universität" 2014/2015 zu sehen. Der erläuternde Text wurde für die Ausstellung bzw. den begleitend erschienenden Katalog verfasst.
Andreas Ackermann, Ute Röschenthaler, Peter Steigerwald (Hg.): Im Schatten des Kongo. Leo Frobenius. Stereofotografien von 1904–1906, Ausst. Kat. Museum der Weltkulturen Frankfurt am Main, Frankfurt a. M. 2005.
Frobenius-Institut (Hg.): Das Frobenius Institut an der Johann Wolfgang Goethe-Universität 1898–1998, Frankfurt a. M. 1998.
Holger Jebens: Herbarium der Kultur. Ethnographische Objekte und Bilder aus den Archiven des Frobenius-Instituts, Frankfurt a. M. 2011.
Richard Kuba, Musa Hambolu: Nigeria 100 years ago – through the eyes of Leo Frobenius and his expedition team, Frankfurt a. M. 2010.
http://bildarchiv.frobenius-katalog.de/ (Zugriff: 20.03.2014).
Wir freuen uns über Ihre Email an: sammlungen[at]uni-frankfurt.de
Dr. Judith Blume (heute: Koordinatorin der Sammlungen an der Goethe-Universität)
Dr. Vera Hierholzer (bis 2018; heute: Direktorin des Museums für Industriekultur in Osnabrück)
Dr. Lisa Regazzoni (bis 2020; heute: Professur für Theorie der Geschichte an der Universität Bielefeld)
Dr. Judith Blume
Koordinatorin der Sammlungen an der Goethe-Universität
Universitätsbibliothek J.C. Senckenberg
Bockenheimer Landstraße 134-138
60325 Frankfurt/Main
Tel: 0049-(0)69-798-39197
J.Blume [at] ub.uni-frankfurt.de
Sven Winnefeld
www.winkin-verlag.de
FGS Kommunikation – Steffen Grzybek, Martin Schulz GbR
www.fgs-kommunikation.de
Jatinkumar Nakrani
linkedin
Github
Die Plattform wurde von der Studiengruppe "sammeln, ordnen, darstellen" am Forschungszentrum für Historische Geisteswissenschaften entwickelt und im Rahmen der Jubiläumsfeierlichkeiten der Goethe-Universität im Jahr 2014 eröffnet. Ihr Aufbau war eng mit der Ausstellung „Ich sehe wunderbare Dinge. 100 Jahre Sammlungen der Goethe-Universität“ verknüpft, die von Oktober 2014 bis Februar 2015 im Museum Giersch der Goethe-Universität zu sehen war. Viele der Objekterzählungen waren auch in der Ausstellung zu lesen und sind im Katalog abgedruckt worden; viele Ausstellungstexte haben wiederum den Weg in die Plattform gefunden. Ebenso wurden die auf der Plattform gezeigten Filme sowie viele der Fotografien eigens für die Ausstellung produziert.
Dr. Judith Blume
Dr. Vera Hierholzer (bis 2018)
Dr. Lisa Regazzoni (bis 2020)
Dr. Charlotte Trümpler (Projektleitung und Kuratorin; Autorenkürzel: CT)
Dr. Judith Blume (Kuratorin, Autorenkürzel: JB)
Dr. Vera Hierholzer (Kuratorin, Autorenkürzel: VH)
Dr. Lisa Regazzoni (wissenschaftliche Mitarbeit, Autorenkürzel: LR)
Die Fotografien wurden von den einzelnen Sammlungen oder Autoren zur Verfügung gestellt sowie von Tom Stern (Sammlungsräume und Objekte), Uwe Dettmar (Objekte) und Jürgen Lechner (Objekte) angefertigt. Die Nachweise finden Sie bei den entsprechenden Abbildungen. Sollte trotz sorgfältiger Recherche ein Rechteinhaber oder Fotograf nicht genannt sein, bitten wir um einen entsprechenden Hinweis.
Sophie Edschmidt (Regie und Schnitt)
Philipp Kehm (Kamera)
Philipp Gebbe (Musik)
Dr. Charlotte Trümpler (Idee und Beratung)
Die Studiengruppe "sammeln, ordnen, darstellen" des Forschungszentrums für Historische Geisteswissenschaften der Goethe-Universität Frankfurt übernimmt keinerlei Verantwortung für die Inhalte von Webseiten, welche durch die auf unseren Seiten angeführten Links erreichbar sind. Die auf solchen Webseiten wiedergegebenen Meinungen und/oder Tatsachenbehauptungen liegen in der alleinigen Verantwortung der/des jeweiligen Autorin/Autors. Da wir auf Änderungen durch Autoren externer Webseiten keinerlei Einfluss haben, weisen wir ferner ausdrücklich darauf hin, dass wir uns Texte oder Aussagen Dritter, welche durch Links auf externen Webseiten zugänglich sind, in keiner Weise zu eigen machen.