von Lukas Wissel
„Und hier stand ich nun, angesichts der wirklich außerordentlich interessanten Malerei“. Mit diesen Worten beschreibt Maria Weyersberg (1886–1987) in ihrem Tagebuch die Wiederentdeckung der Felsmalerei im Jahre 1929, die später (1948) von Abbé Henri Breuil (1877–1961) den Titel „The White Lady of the Brandberg“ erhalten sollte. Der erste, der von der Malerei berichtete, war der deutsche Landvermesser Reinhard Maack (1892–1969), der sie am 4. Januar 1918 während einer Expedition zur Vermessung des Brandbergmassivs in der dortigen Tsisab-Schlucht im Nordwesten des heutigen Namibias zum ersten Mal erblickte. Er fertigte eine hastige Skizze der zahlreichen Bilder im Abri an, der seitdem seinen Namen trägt. Seine Skizze der Darstellungen von mehreren Menschen und Tieren wurde 1930 erstmals publiziert. Der Ethnologe Leo Frobenius (1873 – 1938), für den das Sammeln von Felsbildern ein wichtiger Teil seiner Arbeit war, sandte, nachdem er Kenntnis von der Malerei erlangte, im Rahmen der neunten Deutschen Inner-Afrikanischen Forschungsexpedition (DIAFE) Maria Weyersberg nach Südwest-Afrika, um die dortigen Felsbilder zu dokumentieren. Diese Felsbildkopien bildeten mit zahlreichen anderen den Grundstock des Felsbildarchivs des Frobenius-Instituts.
Nach einem ersten, gescheiterten Versuch im Oktober gelang es Weyersberg, genauer gesagt ihrem einheimischen Träger Elias, am 16. Dezember 1929 die „Maack-Grotte“ bei der Rückkehr zum Brandberg wiederzufinden. Ihre Kopie, die sie daraufhin in zwei Tagen angefertigt hatte, präsentierte sie mit zahlreichen anderen in einem Vortrag am 28. Januar 1930 in Windhoek. Sie behauptete dort, dass „diese Kulturdokumente nicht in Einklang zu bringen sind mit der Mentalität des Buschmannes“. Stattdessen sah sie in der zentralen Figur „eine Anlehnung an ägyptisch-assyrische Haartracht, Schmuck und sonstige Attribute“. Maack und Frobenius zogen ebenfalls eine Verbindung zum ägyptisch-mediterranen beziehungsweise mesopotamischen Kulturraum, und auch Breuil sah sich beim Anblick der Malerei, welche er 1947 begutachtete, an den Mittelmeerraum erinnert und postulierte einen ägyptischen Einfluss, während seine Assistentin Mary Boyle (1881–1974) Kreta als Haupteinflussquelle ausmachte. Breuil war es, der die zentrale Figur als „weiß“ und weiblich interpretierte und so auf den Titel der „White Lady“ kam.
Diese heute abstrus wirkenden Thesen (es gilt mittlerweile als gesichert, dass hier durch einen indigenen Urheber ein ebenfalls indigener Mann dargestellt wurde) zeigen sich auch in der Dokumentation durch die jeweiligen Kopisten. Anstelle des Penisʼ mit Infibulation, wie er von Harald Pager dargestellt wurde und wie er auch von Maack in seiner späteren Publikation geschildert wird, ist auf der Kopie Breuils ein plump wirkendes Dreieck zu sehen, das Bauch und Oberschenkel verbindet. Der Abbé ist auch der einzige der Kopist_innen, der Ansätze einer weiblichen Brust zeichnet. Dies verdeutlicht die Problematik der Dokumentation von Felsbildern durch Malerei, denn diese stellt immer vor allem eine Interpretation des Kopist_innen dar. Anhand der Kopien lassen sich also weit weniger die Hintergründe des Originals untersuchen, als vielmehr die Vorstellungen und Gedanken der Kopist_innen. Wenn man ausschließlich die Kopie Breuils (ohne den Hintergrund des Fundortes des Originals in Namibia) betrachtet, kann man seine Theorie des mediterranen Einflusses schwerlich abstreiten. Mit anderen Worten, Breuil passte seine Dokumentation an seine Interpretation an, insbesondere das Gesicht mit den Augenbrauen, die er als einziger darstellte, sowie eines seiner Hauptargumente für den mediterranen Einfluss, die gerade Nase. Aber so falsch diese Thesen auch sein mögen – ihnen verdankt die „White Lady“ die Stellung als eine der größten Touristenattraktionen Namibias. Denn diese Interpretation als Darstellung einer weißen Frau und der damit verbundenen Implikation des Kulturkontakts macht die Besonderheit der Felsmalerei aus, die bis in die 1970er Jahre hinein die Vorstellungen der Wissenschaftler_innen prägte, gerade auch aufgrund der von dieser Interpretation bestimmten Kopien.
Die zeichnerische Kopie von Maria Weyersberg wurde 1931 von Frobenius als eine (mit Breuils Worten) „nicht sehr gut produzierte“ Reproduktion einer Kopie publiziert; 1937 wurde die Zeichnung dann auch im Rahmen einer Ausstellung im MoMA in New York gezeigt. Heute ist die Kopie im Felsbildarchiv leider nicht mehr auffindbar, vermutlich verbrannte sie bei einem Bombenangriff der Alliierten im Zweiten Weltkrieg. Als ihre letzte Spur findet sich im Felsbildarchiv die Signatur FBA-D3 1607, die die alte Kat. Nr. 848 abgelöst hat, und nichts weiter ist, als ein Etikett auf einer leeren Hülle. So bleibt von der Kopie von Weyersberg schließlich nur die Reproduktion in Frobeniusʼ Buch. Doch das Original der „Weißen Dame“ wartet in Namibia noch heute auf Besucher.
Lukas Wissel war im Wintersemester 2015/16 Student der Geschichte. Der Text entstand im Rahmen der Übung „Schriftlose Vergangenheiten“, Dozentin: Dr. Lisa Regazzoni.
Henri Breuil: The White Lady of the Brandberg, London 1955.
Leo Frobenius: Madsimu Dsangara. Südafrikanische Felsbilderchronik, Berlin 1962 [1931].
Rudolph Kuper: Vom „Zwiespalt zwischen Wirklichkeit und Reproduktion“. Die Dokumentation afrikanischer Felsbilder von DIAFE bis DStretch, in: Karl-Heinz Kohl, Richard Kuba, Hélène Ivanoff, Benedikt Burkard (Hgg.): Kunst der Vorzeit. Texte zu den Felsbildern der Sammlung Frobenius, Frankfurt 2016, S. 63–74 [Mit Bildern aller Kopien der „White Lady“].
Reinhard Maack: Die weiße Dame vom Brandberg. Bemerkungen zu den Felsmalereien des paläolithischen Kulturkreises in Südwest-Afrika, in: Willy Fröhlich (Hg.), Beiträge zur afrikanischen Kunst, Köln 1966, S. 1–84.
Maria Weyersberg: Buschmann-Malereien in Südwest, in: Journal S.W.A. Scientific Society, 5 1931, S. 46–54.Maria Weyersberg: Tagebücher IV und V der IX. DIAFE, Transvaal – Rhodesien – Deutsch-Südwestafrika 1929/1930. [Unveröffentlichte Manuskripte, Frobenius-Institut Frankfurt a. M., Nachlass L. Frobenius, LF 465/LF 466].
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