von Charlotte Rottmair
Eine kleine Figur, dunkel und doch glänzend. Sie besteht aus Wachs. Es ist die Figur eines Tieres, nicht sehr groß, sie steht auf vier Beinen und hat einen Schwanz, der dem eines Kängurus ähnelt. An den Pfoten lassen sich Krallen erkennen. Die Ohren sind abstehend. Die Schnauze des Tieres ist wie ein Rüssel lang nach vorne gezogen. Die Nase sieht aus wie die eines Schweins. Wer sich im Tierreich auskennt, weiß: es ist ein Erdferkel.
Erdferkel sehen aus, wie eine Mischung aus einem Känguru und einem Schwein. Sie sind nachtaktive Tiere und leben als Einzelgänger. Die Krallen an ihren Pfoten nutzen sie, um sich ein Erdloch zu graben, in dem sie wohnen. Ihre Hauptnahrungsquelle sind Termiten. Verbreitet sind sie in Afrika, südlich der Sahara. Sie bevorzugen Grasland, Savannen und offenes Buschland. Feinde des Erdferkels sind Löwen, Hyänen und Leoparden. Und in der Vergangenheit natürlich, nicht zu vergessen, Menschen, die sie jagten und verspeisten. Im Süd-Westen Afrikas, dem heutigen Namibia, lebt eine Volksgruppe, die sich selbst als „Kxoé“ bezeichnet, auch sie jagten früher Erdferkel. Lange Zeit lebten die Kxoé als Jäger und Sammler. Mit der Kolonialisierung des südlichen Afrikas änderte sich ihre Lebensweise jedoch drastisch.
Der deutsche Afrikanist Oswin Köhler reagierte darauf, indem er versuchte, ihre traditionelle Lebensweise festzuhalten und gleichzeitig ihren Wandel zu berücksichtigen. Oswin Köhler erforschte zwischen 1959 und 1992 die Sprache und Kultur der Kxoé. In dieser Zeit unternahm er über zwanzig mehrmonatige Expeditionsreisen zu den Kxoé und sammelte in Gesprächen und Tonaufnahmen Informationen zu Sprache und Alltag . Die Berichte der Kxoé schrieb er in ihrer eigenen Sprache nieder und übersetzte diese später ins Deutsche. Sie wurden themenartig zusammengefasst und in einem bisher drei Bände umfassenden Enzyklopädie „Die Welt der Kxoé-Buschleute“ veröffentlicht, zwei weitere Lexika sind geplant. Auf Basis der sprachlichen Kommunikation erforschte Köhler also nicht nur die Sprache, sondern auch die Lebensweise der Kxoé.
Die kleine Erdferkel-Wachsfigur hat Oswin Köhler von einer seiner Feldforschungen mit nach Deutschland gebracht. Heute befindet sie sich im Oswin-Köhler-Archiv an der Goethe-Universität, das den Nachlass des Afrikanisten verwaltet. Es ist nicht die einzige Wachsfigur, die in dem Archiv lagert. Viele Figuren lassen sich finden, die mit Berichten der Kxoé in Verbindung gebracht werden können. Sie zeigen Tiere, die im alltäglichen Leben der Kxoé eine Rolle gespielt haben. Waren die Wachsfiguren vielleicht Kinderspielzeug? Die Mitarbeiter des Archivs können dies nicht ausschließen. Wachs war ein Überbleibsel aus der Honiggewinnung und wurde bei den Kxoé häufig zur Herstellung von Kinderspielzeug in Form von kleinen Figuren, die Tieren oder Menschen ähnelten, genutzt. Die dunkle Farbe erhielt das Wachs durch Asche, welche durch Buschbrände in der heißen Jahreszeit entstand und sich mit der Zeit in dem sandigen Boden ansammelte.
Ob das Objekt ein Geschenk der Kxoé an Oswin Köhler war oder ob er es selbst für Forschungszwecke mitgenommen hat oder gar anfertigen ließ, ist nicht ganz gewiss. So wie Oswin Köhler beschäftigt sich die Afrikanistik an der Goethe-Universität mit Forschungen, die über den Weg der einheimischen Sprachen Zugang zu Kultur, Gesellschaft und Geschichte der afrikanischen Völker sucht. Dabei spielen Artefakte eigentlich selten eine entscheidende Rolle. Das Erdferkel ist also quasi in sein Erdloch zurückgekehrt. Als Relikt einer Forschung ruht es vor sich hin liegend, in Kisten verpackt, in den Regalen und wartet darauf aus den Kisten geholt zu werden.
Charlott Rottmair war im Sommersemester 2013 Studentin der Kunstgeschichte. Der Text entstand im Rahmen der Lehrveranstaltung der Studiengruppe „sammeln, ordnen, darstellen“.
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Die Plattform wurde von der Studiengruppe "sammeln, ordnen, darstellen" am Forschungszentrum für Historische Geisteswissenschaften entwickelt und im Rahmen der Jubiläumsfeierlichkeiten der Goethe-Universität im Jahr 2014 eröffnet. Ihr Aufbau war eng mit der Ausstellung „Ich sehe wunderbare Dinge. 100 Jahre Sammlungen der Goethe-Universität“ verknüpft, die von Oktober 2014 bis Februar 2015 im Museum Giersch der Goethe-Universität zu sehen war. Viele der Objekterzählungen waren auch in der Ausstellung zu lesen und sind im Katalog abgedruckt worden; viele Ausstellungstexte haben wiederum den Weg in die Plattform gefunden. Ebenso wurden die auf der Plattform gezeigten Filme sowie viele der Fotografien eigens für die Ausstellung produziert.
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