von Anna Langgartner
In einem Regal strahlend weißer oder gefärbter Gipsköpfe fällt der sogenannte Sappho-Kopf kaum auf. Sein Äußeres ist im Vergleich zu den anderen wenig ansprechend, das ehemals reine Weiß des Gipses verkam durch eine festsitzende Patina aus Staub zu einem schmutzigen Grau. Der Großteil der Oberfläche zeigt Beschädigungen durch Bestoßungen, die Nase sowie ein großes keilförmiges Stück an der Stirn fehlen. Dennoch ist der Kopf eine Rarität innerhalb der Abguss-Sammlung des Archäologischen Instituts. Denn er ist einer der letzten übrig gebliebenen Abgüsse der alten Universitätssammlung, die während des Zweiten Weltkrieges durch einen Bombenangriff zerstört wurde. Lediglich 13 Teilabgüsse des Parthenonfrieses und der Sappho-Kopf blieben von der ehemals über 500 Nummern umfassenden Sammlung dem Institut erhalten.
Die Grundlage der Abguss-Sammlung der Klassischen Archäologie am Institut für Archäologische Wissenschaften bildete die Städelsche Abguss-Sammlung, die auf das Jahr 1817 zurückging. Sie war die erste städtisch-bürgerliche Einrichtung dieser Art und diente, ganz der Tradition fürstlicher Kunstakademien des 18. Jahrhunderts verpflichtet, der Ausbildung neuer Künstler. Nach und nach wuchs die Sammlung und ging 1907 vertraglich in den Besitz der Stadt Frankfurt über. Diese wiederum vermachte die damals 77 Nummern umfassende Sammlung der 1914 neu gegründeten Goethe-Universität, wo sie in einem eigens gebauten Oberlichtsaal im Jügelhaus Teil des Archäologischen Instituts wurde. Schnell wuchs die Anzahl der Güsse, sodass das Inventarbuch von 1929 schon 497 Nummern aufwies. In den 1930er-Jahren wurden die Räumlichkeiten dem Archäologischen Institut entzogen, woraufhin die komplette Sammlung in Räumen der Unionsdruckerei in Bockenheim magaziniert werden musste, wo sie am 15. März 1944 bei einem Bombenangriff zerstört wurde. Die Platten des Parthenonfrieses,eingesetzt in die Wände des Oberlichtsaals im Jügelhaus, verblieben dort und entgingen so dem gleichen Schicksal. Wie allerdings der Sappho-Kopf dieses Bombardement überstand, darüber lässt sich nur spekulieren. Vielleicht stand er im Dienstzimmer des Lehrstuhls für Archäologie, den zu dieser Zeit Guido Kaschnitz von Weinberg (1890 – 1958) innehatte. Sein Vorgänger, Ernst Langlotz (1895 – 1978), hatte ihn 1937 aus dem Akademischen Kunstmuseum der Universität Bonn erworben, um seine Forschungen zu klassischen Aphroditestatuen voranzubringen. Diese publizierte er dann 1954 in einer grundlegenden Arbeit über »Aphrodite in den Gärten«, in der auch unser Sappho-Kopf vielfältige Erwähnung findet. Vielleicht hat dieser Umstand den Sappho-Kopf vor der Zerstörung bewahrt.
Angefertigt wurde er in Bonn nach einem Abguss der dortigen Sammlung. Der Bonner und der Frankfurter Abguss gehen auf einen Marmorkopf aus dem Ashmolean Museum in Oxford zurück. Dieser Originalkopf stellt seinerseits eine römische Kopie nach einer verlorenen griechischen Statue dar.
Der Kopf zeigt das zeitlos schöne Antlitz einer Frau. Das Gesicht hat eine schmale, langrechteckige Form mit leicht geöffneten vollen Lippen, gleichmäßig geformten Augen und schmalen, scharfkantigen Brauenbögen. Das dichte lockige Haar wird mit einem Haarband, welches mehrmals um den Kopf geschlungen ist, zu einem Knoten hochgebunden. Ein Mittelscheitel teilt die lockigen Strähnen, die hinten zu einem Knoten zusammengefasst sind. Die Haut ist glatt und eben- mäßig, keine Falte zerstört den Eindruck eines makellosen Gesichts, ebenso fehlt jedes Anzeichen einer spezifischen Mimik, der Gesichtsausdruck wirkt gelassen.
Der Eindruck einer idealen anstatt individuellen Schönheit legt die heute gültige Identifizierung als die antike Göttin Aphrodite nahe, wobei eine frühere Identifizierung als die antike Dichterin Sappho dem Kopf als archäologische Bezeichnung erhalten blieb. Die genaue Rekonstruktion und Datierung der antiken Statue, zu der der Kopf gehört haben muss, ist in der archäologischen Forschung umstritten und noch nicht geklärt.
Folglich vereinigt der Sappho-Kopf der Abguss-Sammlung des Archäologischen Instituts in sich einerseits interessante Fragen der aktuellen Forschung, andererseits die spannungsreiche Geschichte der Abguss-Sammlung selbst. Somit ist der schlechte Erhaltungszustand des Kopfes, anfangs schnell als ästhetisches Defizit missverstanden, Spiegel der abwechslungsreichen Geschichte seiner Herkunft und seines Überdauerns.
Anna Langgartner war 2014 Studentin der Klassischen Archäologie. Der Text entstand im Rahmen der Jubiläumsausstellung „Ich sehe wunderbare Dinge. 100 Jahre Sammlungen der Goethe Universität“ und wurde im Katalog veröffentlicht. Dieses Objekt war in der Jubiläumsausstellung "Ich sehe wunderbare Dinge. 100 Jahre Sammlungen der Goethe-Universität" 2014/2015 zu sehen. Der erläuternde Text wurde für die Ausstellung bzw. den begleitend erschienenden Katalog verfasst.
Ernst Langlotz: Aphrodite in den Gärten, Heidelberg 1954.
Ursula Mandel: Die Abgußsammlung des Städelschen Kunstinstitutes und ihre Erweiterung als Sammlung des Archäologischen Instituts der Universität, in: Begegnungen. Frankfurt und die Antike, hg. v. Marlene Herfort-Koch, Frankfurt a. M. 1994, S. 231–252.
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Dr. Judith Blume (heute: Koordinatorin der Sammlungen an der Goethe-Universität)
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Die Plattform wurde von der Studiengruppe "sammeln, ordnen, darstellen" am Forschungszentrum für Historische Geisteswissenschaften entwickelt und im Rahmen der Jubiläumsfeierlichkeiten der Goethe-Universität im Jahr 2014 eröffnet. Ihr Aufbau war eng mit der Ausstellung „Ich sehe wunderbare Dinge. 100 Jahre Sammlungen der Goethe-Universität“ verknüpft, die von Oktober 2014 bis Februar 2015 im Museum Giersch der Goethe-Universität zu sehen war. Viele der Objekterzählungen waren auch in der Ausstellung zu lesen und sind im Katalog abgedruckt worden; viele Ausstellungstexte haben wiederum den Weg in die Plattform gefunden. Ebenso wurden die auf der Plattform gezeigten Filme sowie viele der Fotografien eigens für die Ausstellung produziert.
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