von Jessica Pulver
Das Gefäß ist in Form eines menschlichen Kopfes modelliert und zeigt das Gesicht eines bärtigen Mannes. Nur die Henkel, der reduziert ausgeführte Gefäßhals und die Lippe der Gefäßöffnung verraten die eigentliche Funktion als Trinkgefäß. Die Funktion rückt somit hinter den Schein eines freiplastischen Werkes zurück - ein typisches Merkmal der Kopfgefäße. Zwei senkrecht angebrachte, kannelierte Henkel sitzen zu beiden Seiten des Kopfes. Gefäßgröße und Henkelform sprechen für einen Kantharos in a-typischer Form.
Das runde Gesicht wird von dichtem Bart und Lockenkranz eingefaßt. Neben der geraden Nase und oberhalb der hohen Wangenknochen sitzen die engstehenden Augen, deren Pupille, Iris und Augenlider deutlich angeben werden. Die Augen fallen leicht schräg zu den Seiten ab. Die hohe rechteckige Stirn ist von der Augenpartie durch die vorspringenden Brauen deutlich abgesetzt. Die Brauen sind leicht kontrahiert; über ihnen bildet sich eine horizontale Stirnfalte. Von der Stirn verläuft das Nasenbein senkreckt nach unten. Das Philtrum, der Abstand zwischen Nase und Mund, bleibt schmal, so daß der kleine Mund mit schmaler Ober- und voller Unterlippe dicht unter der Nase sitzt. Das dichte Haupthaar ist oberhalb und neben der Stirn in kleinen, einzelnen Locken angegeben. Am Hinterkopf ist es weniger plastisch modelliert, sondern besteht aus Büscheln eingeritzter sichel¬förmiger Strähnen. Die dichten, voluminösen Locken des Bartes verleihen ihm Plastizität. Über der Oberlippe, zu beiden Seiten des Mundes, verlaufen zwei markante s-förmige Locken zum Kinn.
Wer ist hier dargestellt?
Ob mit diesem Kopf eine bestimmte Person gemeint ist, muß mangels Attribute offen bleiben. Funktion und Gestalt lassen jedoch Vermutungen über die Identität des Dargestellten zu.
Ein Trinkgefäß wie der Kantharos könnte auf Dionysos, den Gott des Weins anspielen. Allerdings würde man ein Efeu- und Weinlaub umranktes Haupt erwarten. Viele Kantharoi sind mit dionysischen Darstellungen, unter anderem während des Symposions, geschmückt oder sogar mit einer plastischen Maske des Gottes verziert. Es könnte sich auch um einen Silen oder Satyr aus dem Gefolge des Dionysos handeln. Ihnen sind aber spitze Ohren eigen, während diejenigen am Kopfgefäß eher rund und leicht abstehend ausgeführt wurden.
Eine weitere Möglichkeit ist die Identifizierung mit dem Heros Herakles. Es fehlt zwar das häufige Attribut des Löwenskalps auf seinem Kopf, doch Herakles könnte hier als Liebhaber des Weines charakterisiert sein und nicht als Besieger des nemëischen Löwen. Der mythischen Überlieferung nach hat er gelegentlich dem Wein stark zugesprochen. Zudem zeigt der Kopf der berühmten Heraklesstatue des Bildhauers Lysipp, des sog. Herakles Farnese, ähnliche Merkmale, wie die kontrahierte Stirn, die markante Nase und der kleine volle Mund im lockigen Bart.
Zum Typus des Kopfgefässes
Kopfgefässe wurden im ägäischen Raum in verschiedenster Form gefunden. Das frühste datiert um 1700 v. Chr. Seit Mitte des 6. Jh. v. Chr. gibt es in Athen und Ionen Werkstätten, die sich auf die Herstellung solcher Kopfgefäße spezialisiert haben. Es treten neben weiblichen und schwarzafrikanischen Köpfen vermehrt auch Darstellungen von Männern, Silenen und Herakles’ auf. Auch die technische und künstlerische Perfektion, sowie die Massenherstellung, weisen darauf hin, daß sich die Gattung Kopfgefäß innerhalb der Keramik zu einem eigenständigen Zweig des Gewerbes entwickelt hat. Vermutlich wurden die Kopfgefäße zunächst nur im religiösen, kultischen Bereich eingesetzt, unter anderem als Grabbeigabe. Später wurden sie auch vermehrt im profanen Bereich verwendet, weshalb sich ihr Formspektrum um Henkelbecher, Kantharos, Oinochoe eventuell erweitert hat. Auf Grund ihrer Form bleiben sie in ihrer Verwendung wahrscheinlich besonderen Zwecken und Feierlichkeiten vorbehalten.
Wie wird ein solches Gefäß hergestellt?
Im Gefäßinneren ist ein Negativabdruck des Gesichtes zu sehen. Dies ist ein Hin¬weis auf die Herstellung des Gefäßes. Es ist wohl aus einer zweiteiligen Matrize gewonnen worden. Von einer sog. Patrize, einer Art Modellfigur, wird eine Form aus Ton abgenommen und gebrannt. Die Patrize dient nur zur Herstellung der Hohlform, der sog. Matrize. Diese zwei Formhälften, die das Negativ des Gefäßes wiedergeben, werden dann mit Ton ausgestrichen. Nach leichtem Antrocknen wird die Form abgenommen und eine Überarbeitung, sowie Feinmodellierung, vorgenommen. Anschließend werden sie an ihren Rändern zusammengesetzt, sodaß der noch leicht feuchte Ton zusammengepresst wird und ein Gefäß entsteht. Die Nahtstellen werden mit einer Schicht aus dünnem Tonschlicker kaschiert.
Dann werden die Henkel angesetzt und die Lippe modelliert. Anschließend wird das Gefäß gebrannt. Abschließend kann das Gefäß noch mit weiteren Tonschlickernuancen be¬malt werden und erfährt dann einen weiteren Brenngang. Durch Anwendung der Matrizentechnik ist eine Mehrfachproduktion desselben Gefäßes möglich.
Die Oberfläche des Kopfgefäßes ist dicht mit weißem Sinter, einer mineralische festen Kalkablagerung, überzogen. An der Mündung sind dennoch Reste dunkler roter Farbe zu sehen (Abb.6). Das Gefäß hatte demnach einen zusätzlichen Überzug erhalten. Es könnte auch in mehrere Farbnuancen bemalt gewesen sein. Durch die starke Versinterung ist die Oberfläche des Gefäßes jedoch stark beschädigt und so eine weitere Analyse der Farbigkeit nicht möglich.
Da das Kopfgefäß aus dem Kunsthandel stammt und somit die Herkunft nicht geklärt ist, kann nur auf Grund der gewonnen Erkenntnisse und der Forschungslage ein Vorschlag für die mögliche Herkunft gemacht werden. Im späten 1. Jh. v. Chr. kam der Typus des fußlosen Kopfbechers auf. Dieser zeigte zum großen Teil männliche Personen aus der griechischen Mythologie, wie zum Beispiel Herakles, und auch Personen aus dem dionysischen Umfeld. Viele dieser Kopfgefäße stammen aus Töpfereien des östlichen Mittelmeerraumes. Der dunkle Überzug ist typisch für Pergamon; aus dieser Stadt stammen weitere Kopfkantharoi. Dieses Kopfgefäß könnte demnach aus späthellenistischer Zeit stammen und Herakles oder Dionysos darstellen.
Jessica Pulver war im Sommersemester 2013 Studentin der Klassischen Archäologie (HF) und der Kunstgeschichte (HF). Der Text entstand im Rahmen der Übung „Das Archäologische Objekt in der universitären Sammlung“, Dozentin: Dr. Nadin Burkhardt, Tutorin: M.A. Stefanie Armbrecht. Originalaufnahmen, Photo: Jessica Pulver und Brigitta Schödel, Frankfurt a, M., alle Rechte bei der Abteilung Klassische Archäologie, Institut für Archäologische Wissenschaften, Goethe-Universität
Paolo Enrico Arias, Max Hirmer: Tausend Jahre griechische Vasenkunst, München 1960.
Ursula Mandel: Kleinasiatische Reliefkeramik der mittleren Kaiserzeit. „Oinophorengruppe“ und Verwandtes, Berlin 1988.
Ilona Richter: Das Kopfgefäß. Zur Typologie einer Gefäßform, Köln 1967.
Elisabeth Rohde: Griechische Terrakotten, Tübingen 1968.
Raimund Wünsche, Vinzenz Brinkmann (Hg.), Herakles-Herkules, Katalog Staatliche Antikensammlung und Glyptothek München, München 2003.
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